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Spiegelwelten:Eine Hetzjagd, die ist lustig

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Die traditionelle Parforcejagd

Der Hofberichterstatter Johann von Schlesien freut sich, dem freundlichen Publikum den nachfolgenden Bericht über eine der präsidialen Herbstjagden der geneigten Einsicht zukommen zu lassen.

Einladungen aus aller Welt

Vereehrter Herr von Schlesien,

mit einiger Freude und der leichten Belustigung, die mir die Erinnerung noch immer aufnötigt, schildere ich Ihnen nachfolgend den Ablauf der großen, präsidialen Herbstjagd, an welcher der Präsident, die First Lady, und die anderen Haremsdamen, zu deren ich meiner selbst zählen darf, teilnahmen.

Wie jedes Jahr, erhielten wir auch heuer wieder Einladungen und Jagdempfehlungen aus aller Welt. So lud uns der russische Zar ein, in Sibirien den Schneethar zu jagen. Der Vorstand der Firma Mercedes schlug uns eine Elchhatz vor und die Englische Krone versäumte es nicht, uns die Teilnahme an einer Fuchsjagd anzubieten.

Letzterer Vorschlag gefiel der First Lady, Jacqueline, am besten, jedoch musste ich darauf bestehen, dass eine solche Jagd gesellschaftspolitisch heikel wäre, da der Ehegatte eines Freundes der Familie dem Volk der Rotröcke zugehörig ist. Weder wäre es klug, wegen einer solchen Unaufmerksamkeit wochenlang in den Gesellschaftsspalten gescholten zu werden, noch wollte ich gar einen Eklat zum Weihnachtsempfang riskieren, so wie letztes Jahr, als der Außenminister (leicht angetrunken) versuchte, einen Zwerg in der Bowle zu ertränken, weil dieser ihm vor 20 Jahren eine grüne Krawatte zum Ostara-Fest geschenkt hatte.

Weil nichts richtig passte, durchsuchten wir entgegen unserer Gewohnheit auch jene Schreiben, die üblicherweise ungelesen in den Papierkorb wandern. So Blochers Vorschlag, mit ihm Asylanten über die Alpen zu jagen, oder Guildo Horns Einladung, in seinem Schlafzimmer den Bettwanzen nachzustellen.

Ein Brief aus Berlin

Ein Schreiben aus Berlin weckte schließlich unser Interesse. Darin lud Rutger von Bismarck, ein Urenkel des geachteten Otto von Bismarck, zu einer "Hundshatz auf dem Kreuzberg".
Weder war es dem Präsidenten geläufig, dass es bei Berlin einen Berg gibt, noch dass dort wilde Hunde hausten. Grund genug für ihn, auch im Hinblick auf eine diesbezügliche Horizont-Erweiterung, die Einladung anzunehmen.

Ein ungewohntes Jagdrevier

Nach Ankunft in Berlin und dort auf dem Anwesen der Bismarcks ging es am nächsten Tag auch schon los.
Die Pferde, die Herr von Bismarck uns zur Verfügung stellte, waren ausgesprochen erstklassige Vollblüter und begeisterten uns ausnahmslos.
Die First Lady trug ein rassiges Reitkostüm, bestehend aus einer sepiafarbenen Weste und einer beigen Jodhpurhose. Zweifellos etwas burschenhaft, aber bei ihrer Figur kann sie sich solche Keckheiten durchaus erlauben.
Ich wählte indes einen klassischen, dunkelblauen Rock und benutzte meinen persönlichen Damensattel, den ich mit einer klimatisierten Sondermaschine der Bundeswehr einfliegen liess.
Die Meute war ebenfalls in hervorragender Verfassung und höchst motiviert.

Dann blies der Hundeführer "Jagd eröffnet!".
Im munteren Trab ging es in den herbstlichen Frühnebel hinaus. Schon bald bemerkten wir – nicht ohne Verwunderung – dass die Meute nicht etwa in das prächtige Umland von Berlin drängte, sondern im Gegenteil, in die Stadt hinein. Ob irgend etwas die Hunde ablenkte?

Als wir bereits durch dicht bebaute Wohnstraßen, die zudem wenig ansehnlich waren, ritten, erkundigte sich der Präsident bei Rutger von Bismarck, ob es sein könne, dass man sich "irgendwie verlaufen" habe.

"Aber nein" lachte Herr von Bismarck jovial in den kühlen Morgen. "Wir treten gerade in das Jagdrevier ein!" "Sie müssen wissen" erklärte Von Bismarck, "dass in Deutschland die Hetzjagd auf Wild seit 1934 verboten ist. Seither ist traditionell nurmehr noch die Treibjagd auf Menschen erlaubt".
"Wir jagen hier doch keine Menschen, hoffe ich" warf Jacqueline ein.
"Aber nein. Sie wissen doch, dass wir Deutschen Weltmeister darin sind, Gesetzeslücken zu nutzen. Ich habe einen Weg gefunden, legale Treibjagden auf Vierbeiner durchzuführen: es dürfen einfach keine wilden Tiere sein. Also jagen wir Tiere, die zwar offiziell domestiziert, aber dennoch wild sind: Kampfhunde!"

Die Meute nimmt Witterung auf

Plötzlich gab die Meute Laut und rannte in Richtung des großen Aldi-Parkplatzes. Wir trabten los und hinterher. Überall lagen leere Kartons herum. Eine aufgerissene Corn-Flakespackung gammelte aufgeweicht in einer Pfütze Erbrochenem.
Mein Pferd scheute leicht ob einer halbleeren PET-Flasche, die über den Asphalt rollte. Die Meute schenkte dem Unrat keine Beachtung, sondern hastete aufgeregt auf das Gebäude zu, wo die Einkaufswagenbuchten standen. Der dort schlafende Alkoholiker schreckte hoch und versuchte wirr vor sich hin fluchend aufzustehen, doch ehe es ihm gelang, waren wir auch schon an ihm vorbeigeprescht.

Spannende Parforcejagd

Die Meute nahm laut jaulend die Kurve um das Gebäude und dann sahen wir, was sie lange vor uns gewittert hatte: Auf der Straße stand ein abstossend aussehender Mann mit Stirnglatze und Lagerfeldschem Pferdeschwänzchen.
An der Leine hielt er einen feisten Köter, der aussah wie eine atomar mutierte Ratte. Ein Pitbull! Oder ein Bullterrier? Egal. Jedenfalls ein Kampfhund. Unser Wild!

Die Meute raste auf die beiden zu. Der Halter des Ekelviehs schrie noch "ey, wat soll die Kacke!?" als er von seinem eigenen Getier umgerissen wurde:
Dessen kleines Gehirn hatte nämlich inzwischen geschaltet und – im Gegensatz zu seinem schmierigen Besitzer – verstanden, was los war.


Das Vieh raste los, schleifte seinen Herren an der Leine noch bis zu den Müllcontainern, gegen die der fluchende Kerl wuchtig mit dem Kopf prallte. Dann riss die Leine und der Kampfhund sprang über den Container. Die Meute hinterher. Auch wir galoppierten an und übersprangen dieses unser erstes Hindernis. Da sag noch einer, in der Stadt gäbe es keine Springgelegenheit! Wir waren begeistert!

Die Töle raste die Straße entlang. Sie war erstaunlich schnell, wenn man die krummen Stummelbeine bedenkt. Nun, mit so einer prächtigen Jagdéquipage im Nacken, nur zu verständlich!

Ruses

"Ruse" nennt man in der französischen Jägersprache die Tricks eines gehetzten Wildes, um seine Verfolger abzuschütteln. Auch unser hässlicher, kleiner Freund griff zu den bewährten Mitteln, die jedem Jäger wohlbekannt sind und kroch kurzerhand unter ein geparktes Auto. Die Meute ließ sich jedoch nicht foppen. Sie umzingelte das Auto, kratzte lebhaft an er Karosserie herum, biss in die Reifen und legte das Fahrzeug so gekonnt tiefer. Bevor der Wagen den Gehetzten plattdrückte, kroch dieser wieder hervor und suchte sein Heil erneut der Flucht.

Ablenkung auf der Kreuzung

Jetzt galt es ein erneutes Hindernis zu überspringen: Auf einer großen Kreuzung waren mehrere Autos zusammengekracht und bildeten eine solide Barriere. Das Wild raste mitten durch die Blechhaufen, die Meute stramm hinterher. Ich fürchtete noch, dass ich beim Sprung die Autofahrer, die sich gerade zwischen ihren Fahrzeugen ohrfeigten und bespuckten, verletzten könnte. Das Problem stellte sich jedoch gar nicht, da die Männer zügig den Platz verliessen, als die Meute auf sie zuraste.

Flucht in Verstecke

Doch jetzt wurde es anspruchsvoll!
Der Hund hetzte in einen Aldi-Markt, der gerade seine Tore öffnete. Die Meute und wir natürlich hinterher. Der Köter versuchte sich unter den Kartons mit den Kokett-Tüchern zu verstecken, die Meute jedoch ließ sich nicht beirren und zerriss die Packungen in Sekundenschnelle, bis aus der Wolke aus Plastik und Zellstofffetzen der Kampfhund wieder zum Vorschein kam. Ich versuchte ihm den Weg abzuschneiden und übersprang die Wühltische mit den Baby-Shirts, Strandmatten und Radioweckern. Dabei rutschte ich fast vom Sattel und drohte in die Kühlmeile zu fallen.

Schaffen von Hindernissen

Unsere Beute war gewitzt: Als nächste Ruse ließ das Vieh das Regal mit den Feinkostsalaten und den Jogurt-Bechern einstürzen. Auf dem so entstehenden Matsch rutschten die Meutehunde aus und auch das Pferd unseres Gastgebers kam ins Rutschen und knallte mit dem Hinterteil auf den Boden. Derweil setzte der Kampfhund mit einem riesigen Satz über die Dosentürme und raste, eine Angestellte umrennend, zum Ausgang. Der Präsident sprang beherzt hinterher und packte im Vorbeigaloppieren drei Edelsalami Pute und warf selbige zielsicher auf das Tier, welches er auch getroffen hätte, wäre die Verkäuferin nicht dazwischen gestanden.

Die letzte Ruse

Das einheimische Proletariat zeigt wenig Sinn für die edle Waidmannskunst.

Nun schon sichtlich erschöpft rannte die Beute jetzt aus dem Geschäft, raste eine hochgradig defekte Straße hinunter, die wohl seit dem Krieg nicht mehr saniert worden war. Dann bremste der Schadhund, schlug einen Haken und drang in eine sogenannte "Eckkneipe" ein. Die Meute natürlich hinterher, ebenso wir Reiter. In dem Etablissement saßen einige eher ungepflegte Männer, rauchten und hockten an der Bar über Kaffeetassen. Einige nahmen – unerhört für diese frühe Stunde – sogar geistige Getränke zu sich.

Leider zeigten die Herren auch recht wenig Affinität für unseren edlen Sport, denn sie wurden sogleich ausfallend: "Ey, wat isn' hier los: raus mit den Kötern!"
"Ey, ick jloob ick spinne! Wat soll denn dette wer'n! Weg mit den Jäulen da!"

Intoleranz

Ob dieses unprofessionellen ungehobelten Verhaltens scheute das Pferd des Präsidenten. Es stieg und schlug mit seinen Hufen einen albernen Kasten mit irgendwelchen Fußballfotos ein. Der Wirt fing darauf hin an, laut aber kaum verständlich zu zetern und zu fluchen, ja erdreistete sich sogar, eine Flasche in die Richtung des Präsidenten zu werfen. Unser armer Gatte konnte sich aber geistesgegenwärtig ducken und das Geschoss zerschellte an einem kitschigen Spielautomaten in der Ecke.

Der Wirt fingerte sein Handy hervor und tippte eilig eine kurze Nummer ein: "Ja, hallo, sprech' ick da mit der Polizei? Schicken Se doch bitte mal eene Streife rüber! Sie werd'n det echt nich jlooben, aber Kennedy randaliert bei mir in der Kneipe rum! Jo, der schlägt mir den Laden kurz und klein, also beeil'n se sich! Wat soll denn dette heessen? Kennedy ist tot? Det weess ick, aber det hält den ja nüscht ab. Nein, ick hab nüscht jesoffen!"

Halali

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Der große, erhabene Momment war gekommen: Die Meute stellte den Kampfhund hinter dem Tresen. Sie stürzte sich auf das hässliche Vieh, welches gerade noch Zeit hatte, ein spitzes "Quiiitsch" auszustoßen, ehe sich die Meutehunde bereits um seine Einzeltele balgten. Einer der Hunde raste mit den Gedärmen durch das Lokal, zwei andere versuchten, ihm den Happen abspenstig zu machen. Der letzte verbliebene Gast übergab sich darauf hin völlig unpassend auf den Boden. Drei weitere Hunde hatten sich in den abgerissenen Kopf verbissen. Unser Gastgeber prügelte sie mit der Peitsche weg, denn das Haupt des Wildes war schließlich unsere Trophäe.

Ein Fauxpas

Von Bismarck hob den Kopf auf und überreichte ihn – mir.
Mein lieber Herr Von Schlesien – das war nun sowas von peinlich. Entweder der werte Rutger wusste nicht, dass man die Trophäe selbstverständlich dem Präsidenten übergibt, oder aber er missachtete die Ettikette bewusst, was dann aber ja nichts anderes bedeutete, als dass er Anspruch auf meine Person erhob. Beides kommt mir gleichermassen unglaubhaft vor. Jedenfalls hielt ich den blutigen Kopf in meiner Hand und wusste nicht so recht wohin damit. Wir verliessen das Lokal. Draußen übergab ich die Trophäe John F. Der Präsident war, wie man so sagt, stinksauer. Sein Blick war so versteinert wie damals, zur Zeit der Kubakrise.

Plötzlich gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte los, wir hinterher. Der Präsident stemmte sich im Sattel hoch, schwang den Kopf hoch über seinem und warf ihn schließlich im hohen Bogen über eine einige Meter vor uns liegende Mauer. Daraufhin war von jenseits der Mauer ein Kreischen und ein "Fuck, was ist denn das für eine eklige Scheiße!?" zu vernehmen.

Die Erinnerung bleibt

Am nächsten Tag bestiegen wir die Air Force One Richtung Heimat. Trotz der kleinen, protokollarischen Unregelmässigkeit zum Schluss kann ich sagen, dass diese Jagd als gelungen zu betrachten ist. Sie hatte einen ganz eigenen, recht urigen Charme. Wir danken an dieser Stelle der Berliner Bevölkerung für die freundliche Aufnahme.

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Dieser Artikel aus den Namensräumen „Diverses“ oder auch „Spiegelwelten“ besitzt aufgrund seiner Qualität die Urkunde „Schatzkistentauglich“ und wird daher im Portal Rumpelkiste gelistet.
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