Diverses:Rigolettos letzter Auftritt: Unterschied zwischen den Versionen

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<div style="text-align:justify;">An einem schwülen Maiabend, der das Joch des nahenden Sommers erahnen ließ, lag der Clown Rigoletto in einem Zimmer des Wiener Hotels Imperial und starrte an die Decke. Er tat dies aus reiner Langeweile, denn eigentlich hätte er schon vor Stunden sterben sollen, weshalb er davon abgesehen hatte, Pläne für diesen Abend zu schmieden. Rückblickend musste er sich eingestehen, dass es naiv gewesen war, dem Liefertermin des Packdienstes Glauben zu schenken, aber wer konnte es ihm verdenken, dass er sich wenige Stunden vor seinem Tode der Illusion hingab, seinen Mitmenschen vertrauen zu können. Darüber hinaus hegte Rigoletto in dieser Causa keinen Groll, wenngleich sein Herz aus anderen, tragischeren Gründen dermaßen von Gram zerfressen war, dass sein Gehirn es kein Blut mehr pumpen lassen wollte, aber zumindest grämte er sich nicht wegen des ausgebliebenen Pakets, sondern hatte überdies sogar Verständnis für die nicht erfolgte Zustellung, denn wer, wenn nicht ein suizidaler Clown, dessen sprühender Witz ein Raub von Fortunas Grausamkeit geworden war, konnte verstehen, dass man seinem Leben aus freien Stücken ein Ende setzte, auch wenn man als Fahrer eines Zustelldienste Pakete auszuliefern hatte. Mit voyeuristischer Neugier versuchte er die letzten Augenblicke des Dahingeschiedenen zu ergründen, imaginierte mit bittersüßem Neid und erregender Vorfreude mögliche Arten des Sterbens, fand vertreten durch den unbekannten Geistesbruder in verschiedensten Scenarien die ersehnte Erlösung. Hatte sich der Bote in einer Schlinge aus Paketband erhängt, sich solange braunes Klebeband um den Kopf gewickelt, bis er erstickte? Handelte es sich am Ende gar um einen unglücklichen Unfall? War er auf einer hügeligen Strecken vielleicht ohne die Handbremse anzuziehen aus dem Auto gestiegen und dann von diesem überrollt worden? Mit großer Begeisterung spann Rigoletto verschiedene Geschichten aus dem gleichen Stoff, die nur vordergründig versuchten die Wahrheit zu enthüllen, starb im Körper eines Fremden tausend Tode, um im eigenen Geiste die Illusion der Auf- und Erlösung zu erfahren. Besonderen Gefallen fand der Clown an einem Scenario, in dem der bis dahin glückliche Paketbote durch Zufall, nachdem die Kartonage durch den Inhalt einer zerborstenen Whiskyflasche aufgeweicht unter dem Gewicht anderer Sendungen zerbrochen war, die Schmerzmittel, welche den zehrenden Pein des Bajazzos in umschlingender Dunkelheit ersticken sollten, fand und nach kurzer, aber inniger Reflexion die Qualen menschlicher Existenz erkennend seinem neuentdeckten Elend ein rasches Ende setzte. Rigoletto erheiterte sich über die Ironie, dass just die Pillen, welche ihm Frieden schenken sollen, ihm diesen nun zu verwehren schienen. Überdies hatte er, zumindest lautete so sein Urteil, dem Auslieferer lustige letzte Worte, nämlich, dass das Medikament nach Thunfisch schmecke, in den Mund gelegt, was ihn ob der Absurdität der imaginierten Scene so sehr amüsierte, dass er, wenngleich er nicht wirklich lachte, zumindest mehr Luft als üblich durch die Nase ausstieß. Je länger sich die Phantasterei hinzog, um so wandlungsfähiger wurden die Bilder, bis der Paketbote im Bett des Wiener Hotels Imperial lag, ehe er auf verschiedensten Wegen den erlösenden Tod entdeckte. Rigoletto seufzte, stand auf und ließ seinen Blick durch das leere Zimmer schweifen. Er sah sich tot am Boden liegen, leblos über den Sessel hängen, ohne Regung oder Rührung stumm und still im Bette ruhen. Sogar in grotesker Position am kleinen Rundtischerl kniend fand der entseelte Körper in Gedanken Platz. Während der Clown seine Leiche im Geiste wie einen ordinären Dekorationsgegenstand auf verschiedenste Möbelstückte stellte, erwuchs in ihm die Frage, wie man wohl auf seinen Tod reagieren werde. Es gab keine Familie, keine Freunde, die diesen betrauern oder zumindest mit hypokritischem Gestus beweinen könnten, ja nicht einmal der Herrgott im Himmel schon Anteil an seinem Schicksal zu nehmen, sodass wohl das bedauerliche Zimmermädchen, vielleicht durch ein plötzliches, opernhaftes Aufwallen von Panik, vielleicht durch eine widersprüchliche Melange aus Ekel und ehrlichem Mitleid, am stärksten vom Dahinscheiden des Bajazzos getroffen wäre, gefolgt von einem Angestellten in leitender Position, der sich, vermutlich eher vom Zorn erregt, als durch Trauer berührt, mit der Entsorgung des Leichnams beschäftige müsste. Gerne hätte Rigoletto, um der Drastik seines Todes durch leichten Klamauk die Schärfe zu nehmen, etwas Lustiges wie »Da lieg ich nun, ich armer Tor und bin so tot wie nie zuvor« oder »ach, armer <s>Yorick</s> Rigoletto« an die Wand geschrieben, doch die blaue, mit silbernen Ornamenten ornierte Seidentapete schien zu kostbar, als dass sie für einen mäßigen Witz verunstaltet werden dürfte. Außerdem zweifelte er nicht daran, dass Zeitungen der innewohnenden Komik seines Freitodes erlägen und diese Aufgabe übernähmen. Man würde titeln: »Kein Scherz: Starclown Rigoletto tot« oder »Gar nicht lustig. Berühmter Clown Rigoletto beging Suizid«. Des Bajazzos liebste Schlagzeile lautete jedoch: »Sein Witze waren zum Totlachen. Sein Leben leider auch. Entertainer Rigoletto wählte den Freitod.« Letztendlich war es einerlei. Als Toter konnten ihn weder Schmerz noch Zeitungsartikel erreichen. Nur kurz und ohne Nachwirkung wurde die Welt von seinem Ableben Notiz nehmen und sich dann unverändert weiterdrehen. Selbst der Raum, in dem er lag, hatte keinen Wandel zu fürchten und wohl schon öfter den Tod während seines stillen Geschäfts beherbergt. Nur die Matratze würde ihm vermutlich folgen und alle irdische Existenz aufgeben müssen, erschien es doch unwahrscheinlich, dass ein Mann, klar von Verstande, simpel im Wesen, bereitwillig das Totenbett eines Fremden als eigenes Ruhelager wählen würde. Alles Phantasterei und Illusion solange der Clown mit pochendem Herzen und kummervollen Gemüt im Bette lag, dem Tode in Gedanken Tür und Tor öffnete, während das Leben partout nicht aus der Brust weichen wollte, sich dort wie ein lästiger Reizhusten, den man sich so leicht an feuchten Wintertagen einfängt und trotz aller Säfte und Kuren erst wieder im Frühling loswird, festsetzte. Nur, wie sollte die ewige Finsternis hereinbrechen, wenn der Tod, welcher die Tore hätte öffnen sollen, schon den Chauffeur  als Ziel auserwählt hatte? Was war zu tun, nachdem aus dem Boten ein Dieb geworden war? Dringliche Fragen, auf die der Clown keine Antwort hatte. Er ließ seinen Blick durch das Zimmer gleiten, rätselte, wie viele Kollisionen mit der Tischplatte sein Schädel wohl aushielte, bis er brach, sinnierte, ob man an einem verschluckten Telefonhörer ersticken könne, grübelte, welche Tötungsmöglichkeiten ein Sessel offerierte. Er zog sogar in Betracht, aufzustehen und ins Bad zu gehen, damit er sich im Waschbecken ersäufen konnte, was er aber bleiben ließ, da er wohl im Zustande der Ohnmacht zu Boden stürzen würde, leider ohne sich dabei durch eine Konfrontation mit der Badewannenkante das Genick zu brechen. Mit fortschreitendes Zeit wuchsen Ratlosigkeit und Verzweiflung zu solcher Größe an, dass Rigoletto sich auf dem Bette erhob, das Fenster öffnete und den Tauben am Dach zuschrie, ihr Werk endlich zu vollenden, hatte seine geliebte Frau Charlotte doch in einem durch einen dieser Vögel verursachten Mopedunfall ihr Leben gelassen, aber keines der Tiere erbarmte sich des Bajazzos, indem es in seinen Rachen flog oder die Halsschlager mit dem Schnabel zerriss, sondern sie alle blieben dümmlich gurrend auf dem Dache sitzen. Der Clown zog sogar in Erwägung, da er im ehedem im Fernsehen aufgeschnappt hatte, dass der Stoff dadurch nahezu unzerreißbar wurde, auf die schwarze Seidenkrawatte, die er trug, zu urinieren, brachte es aber nicht übers Herz, ein Geschein seiner teuren Lotte auf diese Art zu entweihen. Zu leben war schwer, zu sterben aber anscheinend noch schwerer. Erschöpft ließ sich der Bajazzo ins Bett fallen, drückte sein Gesicht in den Polster, willig seinen letzten Lebenshauch in den Baumwollbezug zu hauchen, doch er atmete weiter. Unbedeutend wie tief er in dieses weiße Meer tauschte, er atmete weite. Auch als er die Luft anhielt; nach einer Pause von zwei Minuten atmete er weite. Die Zeit schritt voran und so tat es auch das Leben des Clowns. Rigoletto lag bewegungslos im Bett, den Kopf im Polster versunken, doch seine Gedanken befreiten sich immer öfter aus ihrem Gefängnis der Trivialität und es dauerte nicht lange, bis der Baumwollbezug, welche sich über das Gesicht spannte, bittersüße Reminiszenzen weckte: Schon einmal war er so im Bette gelegen, ohne Freude, aber mit viel Kummer im Leib, weil sein Leben – damals aus finanziellen Gründen – in Trümmern lag, als eine helle, leicht verschleierte Stimme Frauenstimme, deren Intonation durch den Alkohol etwas unsicher war, zu ihm sprach und kaum die ersten Worte sein Ohr erreicht, spürte er wie zarte Finger seinen Rücken liebkosten. Wie an jenem tröstlichen Abend wandte sich Rigoletto nun im Bette des Hotels Imperial liegend um, doch keine jadegrünen Augen blickten ihn an, keine schmalen, weichen Lißßen strichen sanft über Wangen. Stattdessen starrte die weiße Decke zurück. Nur feuchte Tränen benetzten seine Wangen. Er nahm den Polster, der an seiner rechten Seite lag, hob ihn hoch und platzierte ihn auf seiner Brust. Verträumt, ohne seinen Blick von der Decke zu nehmen, strich er liebevoll über den weißen Baumwollbezug, imaginierte, dass seine Fingerkuppen Charlottes zarte Haut berührten, glaubte den süßen Duft ihres Rosenparfums in der Nase spüren zu können, redete sich ein, dass das leichte Gewicht auf seiner Brust der Kopf derer sei, die er immer noch liebte, die ihm so schändlich genommen worden war. Unzählige Abende hatte Charlotte so an seiner Seite gelegen, den Kopf auf der Brust, die Hände mit den Haaren, die aus seinem Bauch wuchsen, spielend. Sie erzählte bei den Gelegenheiten gerne und umfangreich von ihren alltäglichen Erlebnissen, berichtete von Vorkommnissen auf der Straße, schilderte die kleinen Probleme und Freuden von nahen Bekannten und Freunden, sprach dabei aber immer mit ehrlicher Begeisterung und großer Anteilnahme, sodass das Mitgeteilte nie trivial oder langweilig erschien, obschon er es in verwandter einige Male vernommen hatte. Bisweilen, nach entbehrungsreichen Stunden oder Tagen der Trennung, lauscht er dem tröstenden Klang ihrer Stimme, ohne den gesprochenen Worten allzu große Beachtung zu schenken, erfreute sich am vertrauen Gewicht auf seiner Brust, fuhr gedankenverloren und glücksversunken durch den goldblonden Schopf, die großen, langen Finger durch ein Heer zartester Taue gebändigt und geborgen wissen. Nun, nach Fortunas Raum und Grausamkeit, ist ihm in Zeit der Not sowie des Leids nur ein fremder Polster geblieben, der nie das Haupt der Geliebten gebettet hatte, dessen kühler Baumwollbezug nicht die Wärme ihres schlanken Körpers, den betörenden Duft ihres Haares ermangelte. Mit ausgezerrter Stimme und an der Decke haftenden Blick fragte der Clown: »Warum hast du mich verlassen?« Da klopfte es an der Tür. Doch er reagierte nicht, sondern lag im kümmerlichen Versuch tot zu sein regungslos auf dem Hotelbette, ehe sich das Klopfen lauter und dringlicher wiederholte. Dann stand er unter leisem Seufzen auf und schlurfte lustlos zur Tür. Kaum hatte er diesen einen Spalt breit geöffnet, als er eines süßlich-schweren Dufts, im Charakter gleichermaßen betörend wie aufdringlich, gewahr wurde. Es handelte sich um das Parfum der Frau, die vor ihm stand, deren Körper von hohem, aber hagerem Wuchs war. Unter dem schlichten, roten Kleid, das sie trug, bargen sich ein flacher Busen und eine schmale Hüfte. Aus kleinen, runden Knien wuchsen lange, dürre Waden und mündeten in schmächtige, von schwarzen Stöckelschuhen umhüllte Füßchen. Zwischen zierlichen Schultern stieg der bleiche Hals empor, auf dem ein Gesicht thronte, das sowohl pentagonal als auch oval zu sein schien, denn führte man den Blick vom runden Kinn beginnend über die Mitte des Antlitzes, fielen einem, nach kurzem Verweilen am kleinen, von prallen, roten Lippen umschlossenen Mund, unweigerlich die kräftigen Wangenknochen ins Auge, womit man schon die drei Punkte gefunden hatte, die mit den Enden der schmalen Stirn das Fünfeck bildeten. Folgte man jedoch der geschwungenen Linie des Unterkiefers, welcher die eingefallenen, rötlich schimmernden Wangen begrenzte, über den Ansatz der langen Ohren zur Stirn, fand sich keine Ecke oder Kante. Zwischen den stark geschminkten Augen, deren dunkelbraune Iris sich kaum von der schwarzen Pupille schied, sondern ohne chromatischen Bruch in dieser aufging, als hätte man einen Tropfen schwärzester Tinte auf blütenweißes Papier stürzen lassen, wurzelte eine elegante Nase von durchschnittlicher Länge, deren stolzer Rücken ohne Bruch oder Höcker von der kleinen Senke am Ende Stirn bis zum kleinen Knopf an der Spitze wuchs. Das pechschwarze Haar, das die helle Haut fast schon kränklich bleich erschienen ließ, war tief im Nacken zu einem Knoten gebunden. Die großen, blassen Hände, die sich in lange, dünne Finger zergliederten, hielten ein Paket. Insgesamt war die Unbekannte von elbischer Erscheinung. Die Frau sprach: »Ihr Paket.« Ihre Stimme war hoch, aber nicht schneiden oder schrill, jedoch leicht verschleiert, auf angenehme Weise belegt. Ratlos blickte Rigoletto auf die Kartonage, dann auf die Frau und wieder auf die Kartonage. Es war sonderbar. Er wusste nicht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Zwar erwartete er sehnsüchtig ein Paket, doch die Überbringerin schien keine Botin zu sein, zumindest war sie nicht wie eine gekleidet. Auch fand sich keine Anschrift am Karton. Die Frau wiederholte: »Ihr Paket. Sagen Sie bloß, dass Sie Ihr Paket nicht wollen.« Trotz des unverfänglichen Inhalts der Worte, ließ der Ton, in dem sie gesprochen worden waren, keinen Zweifel daran, dass Rigoletto die Sendung entgegenzunehmen hatte. Zögerlich umfassten seine Finger den Karten, doch bevor er sich bedanken könnte, hatte sich die Unbekannte ohne ein Wort des Abschieds abgewandt und war in die Nacht verschwunden.
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<div style="text-align:justify;">An einem schwülen Maiabend, der das Joch des nahenden Sommers erahnen ließ, lag der Clown Rigoletto in einem Zimmer des Wiener Hotels Imperial und starrte an die Decke. Er tat dies aus reiner Langeweile, denn eigentlich hätte er schon vor Stunden sterben sollen, weshalb er davon abgesehen hatte, Pläne für diesen Abend zu schmieden. Rückblickend musste er sich eingestehen, dass es naiv gewesen war, dem Liefertermin des Packdienstes Glauben zu schenken, aber wer konnte es ihm verdenken, dass er sich wenige Stunden vor seinem Tode der Illusion hingab, seinen Mitmenschen vertrauen zu können. Darüber hinaus hegte Rigoletto in dieser Causa keinen Groll, wenngleich sein Herz aus anderen, tragischeren Gründen dermaßen von Gram zerfressen war, dass sein Gehirn es kein Blut mehr pumpen lassen wollte, aber zumindest grämte er sich nicht wegen des ausgebliebenen Pakets, sondern hatte überdies sogar Verständnis für die nicht erfolgte Zustellung, denn wer, wenn nicht ein suizidaler Clown, dessen sprühender Witz ein Raub von Fortunas Grausamkeit geworden war, konnte verstehen, dass man seinem Leben aus freien Stücken ein Ende setzte, auch wenn man als Fahrer eines Zustelldienste Pakete auszuliefern hatte. Mit voyeuristischer Neugier versuchte er die letzten Augenblicke des Dahingeschiedenen zu ergründen, imaginierte mit bittersüßem Neid und erregender Vorfreude mögliche Arten des Sterbens, fand vertreten durch den unbekannten Geistesbruder in verschiedensten Scenarien die ersehnte Erlösung. Hatte sich der Bote in einer Schlinge aus Paketband erhängt, sich solange braunes Klebeband um den Kopf gewickelt, bis er erstickte? Handelte es sich am Ende gar um einen unglücklichen Unfall? War er auf einer hügeligen Strecken vielleicht ohne die Handbremse anzuziehen aus dem Auto gestiegen und dann von diesem überrollt worden? Mit großer Begeisterung spann Rigoletto verschiedene Geschichten aus dem gleichen Stoff, die nur vordergründig versuchten die Wahrheit zu enthüllen, starb im Körper eines Fremden tausend Tode, um im eigenen Geiste die Illusion der Auf- und Erlösung zu erfahren. Besonderen Gefallen fand der Clown an einem Scenario, in dem der bis dahin glückliche Paketbote durch Zufall, nachdem die Kartonage durch den Inhalt einer zerborstenen Whiskyflasche aufgeweicht unter dem Gewicht anderer Sendungen zerbrochen war, die Schmerzmittel, welche den zehrenden Pein des Bajazzos in umschlingender Dunkelheit ersticken sollten, fand und nach kurzer, aber inniger Reflexion die Qualen menschlicher Existenz erkennend seinem neuentdeckten Elend ein rasches Ende setzte. Rigoletto erheiterte sich über die Ironie, dass just die Pillen, welche ihm Frieden schenken sollen, ihm diesen nun zu verwehren schienen. Überdies hatte er, zumindest lautete so sein Urteil, dem Auslieferer lustige letzte Worte, nämlich, dass das Medikament nach Thunfisch schmecke, in den Mund gelegt, was ihn ob der Absurdität der imaginierten Scene so sehr amüsierte, dass er, wenngleich er nicht wirklich lachte, zumindest mehr Luft als üblich durch die Nase ausstieß. Je länger sich die Phantasterei hinzog, um so wandlungsfähiger wurden die Bilder, bis der Paketbote im Bett des Wiener Hotels Imperial lag, ehe er auf verschiedensten Wegen den erlösenden Tod entdeckte. Rigoletto seufzte, stand auf und ließ seinen Blick durch das leere Zimmer schweifen. Er sah sich tot am Boden liegen, leblos über den Sessel hängen, ohne Regung oder Rührung stumm und still im Bette ruhen. Sogar in grotesker Position am kleinen Rundtischerl kniend fand der entseelte Körper in Gedanken Platz. Während der Clown seine Leiche im Geiste wie einen ordinären Dekorationsgegenstand auf verschiedenste Möbelstückte stellte, erwuchs in ihm die Frage, wie man wohl auf seinen Tod reagieren werde. Es gab keine Familie, keine Freunde, die diesen betrauern oder zumindest mit hypokritischem Gestus beweinen könnten, ja nicht einmal der Herrgott im Himmel schon Anteil an seinem Schicksal zu nehmen, sodass wohl das bedauerliche Zimmermädchen, vielleicht durch ein plötzliches, opernhaftes Aufwallen von Panik, vielleicht durch eine widersprüchliche Melange aus Ekel und ehrlichem Mitleid, am stärksten vom Dahinscheiden des Bajazzos getroffen wäre, gefolgt von einem Angestellten in leitender Position, der sich, vermutlich eher vom Zorn erregt, als durch Trauer berührt, mit der Entsorgung des Leichnams beschäftige müsste. Gerne hätte Rigoletto, um der Drastik seines Todes durch leichten Klamauk die Schärfe zu nehmen, etwas Lustiges wie »Da lieg ich nun, ich armer Tor und bin so tot wie nie zuvor« oder »ach, armer <s>Yorick</s> Rigoletto« an die Wand geschrieben, doch die blaue, mit silbernen Ornamenten ornierte Seidentapete schien zu kostbar, als dass sie für einen mäßigen Witz verunstaltet werden dürfte. Außerdem zweifelte er nicht daran, dass Zeitungen der innewohnenden Komik seines Freitodes erlägen und diese Aufgabe übernähmen. Man würde titeln: »Kein Scherz: Starclown Rigoletto tot« oder »Gar nicht lustig. Berühmter Clown Rigoletto beging Suizid«. Des Bajazzos liebste Schlagzeile lautete jedoch: »Sein Witze waren zum Totlachen. Sein Leben leider auch. Entertainer Rigoletto wählte den Freitod.« Letztendlich war es einerlei. Als Toter konnten ihn weder Schmerz noch Zeitungsartikel erreichen. Nur kurz und ohne Nachwirkung wurde die Welt von seinem Ableben Notiz nehmen und sich dann unverändert weiterdrehen. Selbst der Raum, in dem er lag, hatte keinen Wandel zu fürchten und wohl schon öfter den Tod während seines stillen Geschäfts beherbergt. Nur die Matratze würde ihm vermutlich folgen und alle irdische Existenz aufgeben müssen, erschien es doch unwahrscheinlich, dass ein Mann, klar von Verstande, simpel im Wesen, bereitwillig das Totenbett eines Fremden als eigenes Ruhelager wählen würde. Alles Phantasterei und Illusion solange der Clown mit pochendem Herzen und kummervollen Gemüt im Bette lag, dem Tode in Gedanken Tür und Tor öffnete, während das Leben partout nicht aus der Brust weichen wollte, sich dort wie ein lästiger Reizhusten, den man sich so leicht an feuchten Wintertagen einfängt und trotz aller Säfte und Kuren erst wieder im Frühling loswird, festsetzte. Nur, wie sollte die ewige Finsternis hereinbrechen, wenn der Tod, welcher die Tore hätte öffnen sollen, schon den Chauffeur  als Ziel auserwählt hatte? Was war zu tun, nachdem aus dem Boten ein Dieb geworden war? Dringliche Fragen, auf die der Clown keine Antwort hatte. Er ließ seinen Blick durch das Zimmer gleiten, rätselte, wie viele Kollisionen mit der Tischplatte sein Schädel wohl aushielte, bis er brach, sinnierte, ob man an einem verschluckten Telefonhörer ersticken könne, grübelte, welche Tötungsmöglichkeiten ein Sessel offerierte. Er zog sogar in Betracht, aufzustehen und ins Bad zu gehen, damit er sich im Waschbecken ersäufen konnte, was er aber bleiben ließ, da er wohl im Zustande der Ohnmacht zu Boden stürzen würde, leider ohne sich dabei durch eine Konfrontation mit der Badewannenkante das Genick zu brechen. Mit fortschreitendes Zeit wuchsen Ratlosigkeit und Verzweiflung zu solcher Größe an, dass Rigoletto sich auf dem Bette erhob, das Fenster öffnete und den Tauben am Dach zuschrie, ihr Werk endlich zu vollenden, hatte seine geliebte Frau Charlotte doch in einem durch einen dieser Vögel verursachten Mopedunfall ihr Leben gelassen, aber keines der Tiere erbarmte sich des Bajazzos, indem es in seinen Rachen flog oder die Halsschlager mit dem Schnabel zerriss, sondern sie alle blieben dümmlich gurrend auf dem Dache sitzen. Der Clown zog sogar in Erwägung, da er im ehedem im Fernsehen aufgeschnappt hatte, dass der Stoff dadurch nahezu unzerreißbar wurde, auf die schwarze Seidenkrawatte, die er trug, zu urinieren, brachte es aber nicht übers Herz, ein Geschein seiner teuren Lotte auf diese Art zu entweihen. Zu leben war schwer, zu sterben aber anscheinend noch schwerer. Erschöpft ließ sich der Bajazzo ins Bett fallen, drückte sein Gesicht in den Polster, willig seinen letzten Lebenshauch in den Baumwollbezug zu hauchen, doch er atmete weiter. Unbedeutend wie tief er in dieses weiße Meer tauschte, er atmete weite. Auch als er die Luft anhielt; nach einer Pause von zwei Minuten atmete er weite. Die Zeit schritt voran und so tat es auch das Leben des Clowns. Rigoletto lag bewegungslos im Bett, den Kopf im Polster versunken, doch seine Gedanken befreiten sich immer öfter aus ihrem Gefängnis der Trivialität und es dauerte nicht lange, bis der Baumwollbezug, welche sich über das Gesicht spannte, bittersüße Reminiszenzen weckte: Schon einmal war er so im Bette gelegen, ohne Freude, aber mit viel Kummer im Leib, weil sein Leben – damals aus finanziellen Gründen – in Trümmern lag, als eine helle, leicht verschleierte Stimme Frauenstimme, deren Intonation durch den Alkohol etwas unsicher war, zu ihm sprach und kaum die ersten Worte sein Ohr erreicht, spürte er wie zarte Finger seinen Rücken liebkosten. Wie an jenem tröstlichen Abend wandte sich Rigoletto nun im Bette des Hotels Imperial liegend um, doch keine jadegrünen Augen blickten ihn an, keine schmalen, weichen Lißßen strichen sanft über Wangen. Stattdessen starrte die weiße Decke zurück. Nur feuchte Tränen benetzten seine Wangen. Er nahm den Polster, der an seiner rechten Seite lag, hob ihn hoch und platzierte ihn auf seiner Brust. Verträumt, ohne seinen Blick von der Decke zu nehmen, strich er liebevoll über den weißen Baumwollbezug, imaginierte, dass seine Fingerkuppen Charlottes zarte Haut berührten, glaubte den süßen Duft ihres Rosenparfums in der Nase spüren zu können, redete sich ein, dass das leichte Gewicht auf seiner Brust der Kopf derer sei, die er immer noch liebte, die ihm so schändlich genommen worden war. Unzählige Abende hatte Charlotte so an seiner Seite gelegen, den Kopf auf der Brust, die Hände mit den Haaren, die aus seinem Bauch wuchsen, spielend. Sie erzählte bei den Gelegenheiten gerne und umfangreich von ihren alltäglichen Erlebnissen, berichtete von Vorkommnissen auf der Straße, schilderte die kleinen Probleme und Freuden von nahen Bekannten und Freunden, sprach dabei aber immer mit ehrlicher Begeisterung und großer Anteilnahme, sodass das Mitgeteilte nie trivial oder langweilig erschien, obschon er es in verwandter einige Male vernommen hatte. Bisweilen, nach entbehrungsreichen Stunden oder Tagen der Trennung, lauscht er dem tröstenden Klang ihrer Stimme, ohne den gesprochenen Worten allzu große Beachtung zu schenken, erfreute sich am vertrauen Gewicht auf seiner Brust, fuhr gedankenverloren und glücksversunken durch den goldblonden Schopf, die großen, langen Finger durch ein Heer zartester Taue gebändigt und geborgen wissen. Nun, nach Fortunas Raum und Grausamkeit, ist ihm in Zeit der Not sowie des Leids nur ein fremder Polster geblieben, der nie das Haupt der Geliebten gebettet hatte, dessen kühler Baumwollbezug nicht die Wärme ihres schlanken Körpers, den betörenden Duft ihres Haares ermangelte. Mit ausgezerrter Stimme und an der Decke haftenden Blick fragte der Clown: »Warum hast du mich verlassen?« Da klopfte es an der Tür. Doch er reagierte nicht, sondern lag im kümmerlichen Versuch tot zu sein regungslos auf dem Hotelbette, ehe sich das Klopfen lauter und dringlicher wiederholte. Dann stand er unter leisem Seufzen auf und schlurfte lustlos zur Tür. Kaum hatte er diesen einen Spalt breit geöffnet, als er eines süßlich-schweren Dufts, im Charakter gleichermaßen betörend wie aufdringlich, gewahr wurde. Es handelte sich um das Parfum der Frau, die vor ihm stand, deren Körper von hohem, aber hagerem Wuchs war. Unter dem schlichten, roten Kleid, das sie trug, bargen sich ein flacher Busen und eine schmale Hüfte. Aus kleinen, runden Knien wuchsen lange, dürre Waden und mündeten in schmächtige, von schwarzen Stöckelschuhen umhüllte Füßchen. Zwischen zierlichen Schultern stieg der bleiche Hals empor, auf dem ein Gesicht thronte, das sowohl pentagonal als auch oval zu sein schien, denn führte man den Blick vom runden Kinn beginnend über die Mitte des Antlitzes, fielen einem, nach kurzem Verweilen am kleinen, von prallen, roten Lippen umschlossenen Mund, unweigerlich die kräftigen Wangenknochen ins Auge, womit man schon die drei Punkte gefunden hatte, die mit den Enden der schmalen Stirn das Fünfeck bildeten. Folgte man jedoch der geschwungenen Linie des Unterkiefers, welcher die eingefallenen, rötlich schimmernden Wangen begrenzte, über den Ansatz der langen Ohren zur Stirn, fand sich keine Ecke oder Kante. Zwischen den stark geschminkten Augen, deren dunkelbraune Iris sich kaum von der schwarzen Pupille schied, sondern ohne chromatischen Bruch in dieser aufging, als hätte man einen Tropfen schwärzester Tinte auf blütenweißes Papier stürzen lassen, wurzelte eine elegante Nase von durchschnittlicher Länge, deren stolzer Rücken ohne Bruch oder Höcker von der kleinen Senke am Ende Stirn bis zum kleinen Knopf an der Spitze wuchs. Das pechschwarze Haar, das die helle Haut fast schon kränklich bleich erschienen ließ, war tief im Nacken zu einem Knoten gebunden. Die großen, blassen Hände, die sich in lange, dünne Finger zergliederten, hielten ein Paket. Insgesamt war die Unbekannte von elbischer Erscheinung, besaß eine ätherische sowie ästhetizistische Aura als hätte man sie dem Theater geraubt oder der Malerei gestohlen. Die Frau sprach: »Ihr Paket.« Ihre Stimme war hoch, aber nicht schneiden oder schrill, jedoch leicht verschleiert, auf angenehme Weise belegt. Ratlos blickte Rigoletto auf die Kartonage, dann auf die Frau und wieder auf die Kartonage. Es war sonderbar. Er wusste nicht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Zwar erwartete er sehnsüchtig ein Paket, doch die Überbringerin schien keine Botin zu sein, zumindest war sie nicht wie eine gekleidet. Auch fand sich keine Anschrift am Karton. Die Frau wiederholte: »Ihr Paket. Sagen Sie bloß, dass Sie Ihr Paket nicht wollen.« Trotz des unverfänglichen Inhalts der Worte, ließ der Ton, in dem sie gesprochen worden waren, keinen Zweifel daran, dass Rigoletto die Sendung entgegenzunehmen hatte. Zögerlich umfassten seine Finger den Karten, doch bevor er sich bedanken könnte, hatte sich die Unbekannte ohne ein Wort des Abschieds abgewandt und war in die Nacht verschwunden.
  
 
Sofort umschloss ihn die schwüle Mailuft, drang durch den dünnen Leinenstoff seines Anzugs, schmiegte sich wie eine aufdringliche, aber gänzlich reizlose Verführerin, fast schon dirnenhaft an seine Haut und evozierte dabei unmbarmherzig Erinnerungen an überfüllte Züge und verschwitzte Bettlaken. Während diese feuchtwarme Bewunderin ihre bleierne Hand in seinen Nacken steckte und mit ihren schmutzigen Fingern den ganzen Körper zu greifen suchte, stellte sich Rigoletto die Frage, ob sein Tod in den Armen der Donau, die
 
Sofort umschloss ihn die schwüle Mailuft, drang durch den dünnen Leinenstoff seines Anzugs, schmiegte sich wie eine aufdringliche, aber gänzlich reizlose Verführerin, fast schon dirnenhaft an seine Haut und evozierte dabei unmbarmherzig Erinnerungen an überfüllte Züge und verschwitzte Bettlaken. Während diese feuchtwarme Bewunderin ihre bleierne Hand in seinen Nacken steckte und mit ihren schmutzigen Fingern den ganzen Körper zu greifen suchte, stellte sich Rigoletto die Frage, ob sein Tod in den Armen der Donau, die
  
 
»Sie hat geschossen. Mich hat’s getroffen. Es ist vorbei, für mich und für den Anzug. Das Blut kann man noch auswaschen, aber die Löcher sind das Todesurteil. Ein komisches Gefühl zu sterben,« konstatierte Rigoletto trocken, nahm seine Hand von der Brust und betrachtete ungläubig sein eigenes Blut. Staunend mit vor Überraschung weitgeöffneten Mund blickte er in die Gesichter derer, die einen Kreis um ihn gebildet hatten. Sie schwiegen, starrten stumm und dumm einer Herde Esel gleich. Nur ein älterer Herr mit schütterem grauen Haar und fleckigem Sakko nuschelte, dass jemand doch endlich die Polizei rufen solle, doch Rigoletto wollte das nicht, er wollte sterben, wollte nicht mehr ohne Charlotte leben müssen und war schon im Begriff seinen Kopf zu drehen, diesen Mann, der an der Bar saß und seinen riesigen Bauch zwischen Tresen und Hocker zwängte, anzuschauen und ihm zu sagen, dass ihm die Polizei auch nicht mehr helfen könne, doch dann entschied er sich anders, niemand würde den Worten eines Sterbenden Beachtung schenken. Rigoletto fiel auf die Knie und hoffte auf den Tod, harrte dem Ende dieser Farce. Paare dumpfer Augen schauten ihm dabei zu, warteten, dass etwas passierte. Leere Blicke bestürmten ihn, für die Gaffenden zu handeln, drängten ihn dazu, die Vorstellung fortzuführen, die mit den Schüssen ihre Klimax erhalten hatte, und so begann er zu erzählen: »Liegt ein toter Clown in der Wüste und wird von zwei Geiern gefressen; sagt der eine zum anderen-«. Sie stand am Fenster, blickte hinab in die Annagasse, beobachtete das stille Treiben in der schmalen Seitenstraße, als gäbe es im Spielsaal nichts, das ihrer Aufmerksamkeit Wert wäre. Die filigranen Finger stemmten sich kraftvoll gegen die Fensterbank, ließen durch diesen Akt der Anstrengung die dürren Sehen hervortreten, wodurch die Narbe, als wollte man sie dafür bestrafen, dass sie den Rücken der linken Hand entstellte, in eine groteske Form gezwungen wurde. Die jadegrünen Augen, deren Ränder von zarten, rosa Äderchen durchzogen waren, schimmerten schwach im Widerschein der matten Casinobeleuchtung. Das goldblonde Haar trug sie offen, sodass die Locken wie ein Vorhang aus Bernstein über die zierlichen Schultern fielen, zwischen dem eine große Nase mit geradem Rücken und breiten Flügeln wie ein Stück Elfenbein hervorragte. Ein weißes Kleid, welches von bestimmter Schlichtheit war, bedeckte den dürren Körper, verhüllte die dünne Brust. »Was hat jetzt der eine Geier zum anderen gesagt oder war das wieder einer dieser bescheuerten Antiwitze? « schrie einer der Gaffer aus der Menge und riss Rigoletto aus seiner Starre, der seine offene Hand gen die blonde Frau richtete, die er irritiert beäugte, um wenige Augenblicke später mit vor Leid gebrochener Stimme hervorzustoßen: »Charlotte! Gott! Meine geliebte Charlotte! Nein, es ist unmöglich; es muss ein Wahnbild sein. Sie ist es! Charlotte, meine Liebste, antworte mir. Teurer Engel, sieh mich an. Hab Erbarmen, meine Taube. Du darfst mich nicht verlassen, nicht noch einmal. Furchtbarer Gott, warum nimmst du mir das Leben, schenkt mir aber den Lebenswillen? Nein, alles Lüge. Alles Trug. Nur die Phantasien eines Sterbenden. Charlotte, du bist tot. Du bist tot! Welch ein Fluch, sie ist tot, meine Charlotte. « Der Clown wandte seinen Kopf, blickte ungläubig in die kalten Augen seiner Mörderin, starrte sie einige Augenblicke fassungslos an, dann kippte er nach vorne und ging mit blutroter Brust zu Boden, vom herannahenden Tod in den Staub gestoßen. Unter Bindung seiner letzter Kräfte versuchte er sich aufzurichten, wollte noch einmal das Trugbild sehen, das falsche Lächeln blicken, das ihn wie das Lockmittel transzendenter Mächte schien, doch seine Reserven waren erschöpft, er schaffte es nicht, blieb im Staub liegen, zu dem er bald werden würde, stöhnte seine Anstrengung und sein Leid in den grünen Teppichboden des Casinos, dessen sanfte Farbe sich mit dem Blut des Clowns biss. Eine Mauer aus Beinen in Hosen und Strümpfen verwehrte ihm den Blick zum Fenster, versperrte ihm den Pfad ins geborgte Glück, hielt die letzte Illusion, die schönste aller Lügen zurück. Ein Schuss, fiel, dann ein zweiter. Menschen plärrten. Beine bewegten sich. Die Mauer fiel. Der Platz am Fenster war leer. Rigoletto schloss die Augen, verschloss sie vor der Wahrheit und als er sie in der Hoffnung öffnete, dass er sich geirrt hatte, dass doch jemand am Fenster stand, blickte er in das Gesicht einer Blondine. Die azurblauen Augen waren starr, die Pupillen geweitet, die kleine rosa Schleife verrutscht und der Teppich aus dunkelblondem Haar, der sich über ihre roten Lippen gelegt hatte, trug lieblichen Zierrat aus kleinen Blutstropfen. Die Mörderin war ermordet worden. Der Gerechtigkeit hatte man vielleicht sogar genüge getan, eine Frage die Philosophen zu beantworten hätten, doch es spielte für Rigoletto keine Rolle mehr. Die Dame hatte ihr Leben ausgehaucht und der Clown pfiff auch nur noch aus dem letzten Loch, sodass er die Leiche weder als Mahnmal des herannahenden Todes noch als Zeichen für Fortunas Launenhaftigkeit sah, sondern einfach nur als Hindernis, das ihm den Blick zum Fenster verstellte. Unfähig sich zu bewegen, den Köpf zu heben, um das Trugbild zu suchen, um zu schauen, ob es sich gar hinter ihm barg und um ihn weinte, unfähig, ihn seinen falschen Armen Geborgenheit zu finden, stöhnte er mit letzter Kraft »Charlotte« und hauchte mit diesem leisen Ruf nach seiner Liebsten sein Leben aus, sodass er nicht mehr Zeuge wurde, wie die Menge in Panik und Schock zerstob. Nur eine kleine Gruppe älterer Damen hatte unter einem Roulettetisch Schutz gesucht, da das Laufen in diesem Alter nicht mehr so einfach von der Hand ging, betrachtete von diesem Ausguck den Körper im beigen Leinenanzug mit den roten Flecken, der einem Clown gehört hatte, der nun nach Frau und Freude auch sein Leben an Fortunas Furor verloren hatte und erzählte sich wie schrecklich das Erlebte gewesen sei, auch wenn man nicht wie der Clown leblos, am grünen Casinoboden lag. Nichtsdestotrotz wurde der hilflose, da tote Rigoletto im Mitleid begraben, ohne dass man sich auch nur ansatzweise interessierte, wer der Leiche Vorgänger überhaupt war. Rasch verbreitete sich die Kunde dieses schrecklichen Verbrechens, das allgemeine Bestürzung hervorrief, weshalb die auflagenstärkste österreichische Tageszeitung am nächsten Morgen titelte: »Sch(l)uss mit lustig. Starclown Rigoletto ermordet« und ergänzte darunter in kleinen, roten Lettern: »Karotte war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Englein fort.«</div>
 
»Sie hat geschossen. Mich hat’s getroffen. Es ist vorbei, für mich und für den Anzug. Das Blut kann man noch auswaschen, aber die Löcher sind das Todesurteil. Ein komisches Gefühl zu sterben,« konstatierte Rigoletto trocken, nahm seine Hand von der Brust und betrachtete ungläubig sein eigenes Blut. Staunend mit vor Überraschung weitgeöffneten Mund blickte er in die Gesichter derer, die einen Kreis um ihn gebildet hatten. Sie schwiegen, starrten stumm und dumm einer Herde Esel gleich. Nur ein älterer Herr mit schütterem grauen Haar und fleckigem Sakko nuschelte, dass jemand doch endlich die Polizei rufen solle, doch Rigoletto wollte das nicht, er wollte sterben, wollte nicht mehr ohne Charlotte leben müssen und war schon im Begriff seinen Kopf zu drehen, diesen Mann, der an der Bar saß und seinen riesigen Bauch zwischen Tresen und Hocker zwängte, anzuschauen und ihm zu sagen, dass ihm die Polizei auch nicht mehr helfen könne, doch dann entschied er sich anders, niemand würde den Worten eines Sterbenden Beachtung schenken. Rigoletto fiel auf die Knie und hoffte auf den Tod, harrte dem Ende dieser Farce. Paare dumpfer Augen schauten ihm dabei zu, warteten, dass etwas passierte. Leere Blicke bestürmten ihn, für die Gaffenden zu handeln, drängten ihn dazu, die Vorstellung fortzuführen, die mit den Schüssen ihre Klimax erhalten hatte, und so begann er zu erzählen: »Liegt ein toter Clown in der Wüste und wird von zwei Geiern gefressen; sagt der eine zum anderen-«. Sie stand am Fenster, blickte hinab in die Annagasse, beobachtete das stille Treiben in der schmalen Seitenstraße, als gäbe es im Spielsaal nichts, das ihrer Aufmerksamkeit Wert wäre. Die filigranen Finger stemmten sich kraftvoll gegen die Fensterbank, ließen durch diesen Akt der Anstrengung die dürren Sehen hervortreten, wodurch die Narbe, als wollte man sie dafür bestrafen, dass sie den Rücken der linken Hand entstellte, in eine groteske Form gezwungen wurde. Die jadegrünen Augen, deren Ränder von zarten, rosa Äderchen durchzogen waren, schimmerten schwach im Widerschein der matten Casinobeleuchtung. Das goldblonde Haar trug sie offen, sodass die Locken wie ein Vorhang aus Bernstein über die zierlichen Schultern fielen, zwischen dem eine große Nase mit geradem Rücken und breiten Flügeln wie ein Stück Elfenbein hervorragte. Ein weißes Kleid, welches von bestimmter Schlichtheit war, bedeckte den dürren Körper, verhüllte die dünne Brust. »Was hat jetzt der eine Geier zum anderen gesagt oder war das wieder einer dieser bescheuerten Antiwitze? « schrie einer der Gaffer aus der Menge und riss Rigoletto aus seiner Starre, der seine offene Hand gen die blonde Frau richtete, die er irritiert beäugte, um wenige Augenblicke später mit vor Leid gebrochener Stimme hervorzustoßen: »Charlotte! Gott! Meine geliebte Charlotte! Nein, es ist unmöglich; es muss ein Wahnbild sein. Sie ist es! Charlotte, meine Liebste, antworte mir. Teurer Engel, sieh mich an. Hab Erbarmen, meine Taube. Du darfst mich nicht verlassen, nicht noch einmal. Furchtbarer Gott, warum nimmst du mir das Leben, schenkt mir aber den Lebenswillen? Nein, alles Lüge. Alles Trug. Nur die Phantasien eines Sterbenden. Charlotte, du bist tot. Du bist tot! Welch ein Fluch, sie ist tot, meine Charlotte. « Der Clown wandte seinen Kopf, blickte ungläubig in die kalten Augen seiner Mörderin, starrte sie einige Augenblicke fassungslos an, dann kippte er nach vorne und ging mit blutroter Brust zu Boden, vom herannahenden Tod in den Staub gestoßen. Unter Bindung seiner letzter Kräfte versuchte er sich aufzurichten, wollte noch einmal das Trugbild sehen, das falsche Lächeln blicken, das ihn wie das Lockmittel transzendenter Mächte schien, doch seine Reserven waren erschöpft, er schaffte es nicht, blieb im Staub liegen, zu dem er bald werden würde, stöhnte seine Anstrengung und sein Leid in den grünen Teppichboden des Casinos, dessen sanfte Farbe sich mit dem Blut des Clowns biss. Eine Mauer aus Beinen in Hosen und Strümpfen verwehrte ihm den Blick zum Fenster, versperrte ihm den Pfad ins geborgte Glück, hielt die letzte Illusion, die schönste aller Lügen zurück. Ein Schuss, fiel, dann ein zweiter. Menschen plärrten. Beine bewegten sich. Die Mauer fiel. Der Platz am Fenster war leer. Rigoletto schloss die Augen, verschloss sie vor der Wahrheit und als er sie in der Hoffnung öffnete, dass er sich geirrt hatte, dass doch jemand am Fenster stand, blickte er in das Gesicht einer Blondine. Die azurblauen Augen waren starr, die Pupillen geweitet, die kleine rosa Schleife verrutscht und der Teppich aus dunkelblondem Haar, der sich über ihre roten Lippen gelegt hatte, trug lieblichen Zierrat aus kleinen Blutstropfen. Die Mörderin war ermordet worden. Der Gerechtigkeit hatte man vielleicht sogar genüge getan, eine Frage die Philosophen zu beantworten hätten, doch es spielte für Rigoletto keine Rolle mehr. Die Dame hatte ihr Leben ausgehaucht und der Clown pfiff auch nur noch aus dem letzten Loch, sodass er die Leiche weder als Mahnmal des herannahenden Todes noch als Zeichen für Fortunas Launenhaftigkeit sah, sondern einfach nur als Hindernis, das ihm den Blick zum Fenster verstellte. Unfähig sich zu bewegen, den Köpf zu heben, um das Trugbild zu suchen, um zu schauen, ob es sich gar hinter ihm barg und um ihn weinte, unfähig, ihn seinen falschen Armen Geborgenheit zu finden, stöhnte er mit letzter Kraft »Charlotte« und hauchte mit diesem leisen Ruf nach seiner Liebsten sein Leben aus, sodass er nicht mehr Zeuge wurde, wie die Menge in Panik und Schock zerstob. Nur eine kleine Gruppe älterer Damen hatte unter einem Roulettetisch Schutz gesucht, da das Laufen in diesem Alter nicht mehr so einfach von der Hand ging, betrachtete von diesem Ausguck den Körper im beigen Leinenanzug mit den roten Flecken, der einem Clown gehört hatte, der nun nach Frau und Freude auch sein Leben an Fortunas Furor verloren hatte und erzählte sich wie schrecklich das Erlebte gewesen sei, auch wenn man nicht wie der Clown leblos, am grünen Casinoboden lag. Nichtsdestotrotz wurde der hilflose, da tote Rigoletto im Mitleid begraben, ohne dass man sich auch nur ansatzweise interessierte, wer der Leiche Vorgänger überhaupt war. Rasch verbreitete sich die Kunde dieses schrecklichen Verbrechens, das allgemeine Bestürzung hervorrief, weshalb die auflagenstärkste österreichische Tageszeitung am nächsten Morgen titelte: »Sch(l)uss mit lustig. Starclown Rigoletto ermordet« und ergänzte darunter in kleinen, roten Lettern: »Karotte war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Englein fort.«</div>

Version vom 30. August 2015, 23:08 Uhr

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An einem schwülen Maiabend, der das Joch des nahenden Sommers erahnen ließ, lag der Clown Rigoletto in einem Zimmer des Wiener Hotels Imperial und starrte an die Decke. Er tat dies aus reiner Langeweile, denn eigentlich hätte er schon vor Stunden sterben sollen, weshalb er davon abgesehen hatte, Pläne für diesen Abend zu schmieden. Rückblickend musste er sich eingestehen, dass es naiv gewesen war, dem Liefertermin des Packdienstes Glauben zu schenken, aber wer konnte es ihm verdenken, dass er sich wenige Stunden vor seinem Tode der Illusion hingab, seinen Mitmenschen vertrauen zu können. Darüber hinaus hegte Rigoletto in dieser Causa keinen Groll, wenngleich sein Herz aus anderen, tragischeren Gründen dermaßen von Gram zerfressen war, dass sein Gehirn es kein Blut mehr pumpen lassen wollte, aber zumindest grämte er sich nicht wegen des ausgebliebenen Pakets, sondern hatte überdies sogar Verständnis für die nicht erfolgte Zustellung, denn wer, wenn nicht ein suizidaler Clown, dessen sprühender Witz ein Raub von Fortunas Grausamkeit geworden war, konnte verstehen, dass man seinem Leben aus freien Stücken ein Ende setzte, auch wenn man als Fahrer eines Zustelldienste Pakete auszuliefern hatte. Mit voyeuristischer Neugier versuchte er die letzten Augenblicke des Dahingeschiedenen zu ergründen, imaginierte mit bittersüßem Neid und erregender Vorfreude mögliche Arten des Sterbens, fand vertreten durch den unbekannten Geistesbruder in verschiedensten Scenarien die ersehnte Erlösung. Hatte sich der Bote in einer Schlinge aus Paketband erhängt, sich solange braunes Klebeband um den Kopf gewickelt, bis er erstickte? Handelte es sich am Ende gar um einen unglücklichen Unfall? War er auf einer hügeligen Strecken vielleicht ohne die Handbremse anzuziehen aus dem Auto gestiegen und dann von diesem überrollt worden? Mit großer Begeisterung spann Rigoletto verschiedene Geschichten aus dem gleichen Stoff, die nur vordergründig versuchten die Wahrheit zu enthüllen, starb im Körper eines Fremden tausend Tode, um im eigenen Geiste die Illusion der Auf- und Erlösung zu erfahren. Besonderen Gefallen fand der Clown an einem Scenario, in dem der bis dahin glückliche Paketbote durch Zufall, nachdem die Kartonage durch den Inhalt einer zerborstenen Whiskyflasche aufgeweicht unter dem Gewicht anderer Sendungen zerbrochen war, die Schmerzmittel, welche den zehrenden Pein des Bajazzos in umschlingender Dunkelheit ersticken sollten, fand und nach kurzer, aber inniger Reflexion die Qualen menschlicher Existenz erkennend seinem neuentdeckten Elend ein rasches Ende setzte. Rigoletto erheiterte sich über die Ironie, dass just die Pillen, welche ihm Frieden schenken sollen, ihm diesen nun zu verwehren schienen. Überdies hatte er, zumindest lautete so sein Urteil, dem Auslieferer lustige letzte Worte, nämlich, dass das Medikament nach Thunfisch schmecke, in den Mund gelegt, was ihn ob der Absurdität der imaginierten Scene so sehr amüsierte, dass er, wenngleich er nicht wirklich lachte, zumindest mehr Luft als üblich durch die Nase ausstieß. Je länger sich die Phantasterei hinzog, um so wandlungsfähiger wurden die Bilder, bis der Paketbote im Bett des Wiener Hotels Imperial lag, ehe er auf verschiedensten Wegen den erlösenden Tod entdeckte. Rigoletto seufzte, stand auf und ließ seinen Blick durch das leere Zimmer schweifen. Er sah sich tot am Boden liegen, leblos über den Sessel hängen, ohne Regung oder Rührung stumm und still im Bette ruhen. Sogar in grotesker Position am kleinen Rundtischerl kniend fand der entseelte Körper in Gedanken Platz. Während der Clown seine Leiche im Geiste wie einen ordinären Dekorationsgegenstand auf verschiedenste Möbelstückte stellte, erwuchs in ihm die Frage, wie man wohl auf seinen Tod reagieren werde. Es gab keine Familie, keine Freunde, die diesen betrauern oder zumindest mit hypokritischem Gestus beweinen könnten, ja nicht einmal der Herrgott im Himmel schon Anteil an seinem Schicksal zu nehmen, sodass wohl das bedauerliche Zimmermädchen, vielleicht durch ein plötzliches, opernhaftes Aufwallen von Panik, vielleicht durch eine widersprüchliche Melange aus Ekel und ehrlichem Mitleid, am stärksten vom Dahinscheiden des Bajazzos getroffen wäre, gefolgt von einem Angestellten in leitender Position, der sich, vermutlich eher vom Zorn erregt, als durch Trauer berührt, mit der Entsorgung des Leichnams beschäftige müsste. Gerne hätte Rigoletto, um der Drastik seines Todes durch leichten Klamauk die Schärfe zu nehmen, etwas Lustiges wie »Da lieg ich nun, ich armer Tor und bin so tot wie nie zuvor« oder »ach, armer Yorick Rigoletto« an die Wand geschrieben, doch die blaue, mit silbernen Ornamenten ornierte Seidentapete schien zu kostbar, als dass sie für einen mäßigen Witz verunstaltet werden dürfte. Außerdem zweifelte er nicht daran, dass Zeitungen der innewohnenden Komik seines Freitodes erlägen und diese Aufgabe übernähmen. Man würde titeln: »Kein Scherz: Starclown Rigoletto tot« oder »Gar nicht lustig. Berühmter Clown Rigoletto beging Suizid«. Des Bajazzos liebste Schlagzeile lautete jedoch: »Sein Witze waren zum Totlachen. Sein Leben leider auch. Entertainer Rigoletto wählte den Freitod.« Letztendlich war es einerlei. Als Toter konnten ihn weder Schmerz noch Zeitungsartikel erreichen. Nur kurz und ohne Nachwirkung wurde die Welt von seinem Ableben Notiz nehmen und sich dann unverändert weiterdrehen. Selbst der Raum, in dem er lag, hatte keinen Wandel zu fürchten und wohl schon öfter den Tod während seines stillen Geschäfts beherbergt. Nur die Matratze würde ihm vermutlich folgen und alle irdische Existenz aufgeben müssen, erschien es doch unwahrscheinlich, dass ein Mann, klar von Verstande, simpel im Wesen, bereitwillig das Totenbett eines Fremden als eigenes Ruhelager wählen würde. Alles Phantasterei und Illusion solange der Clown mit pochendem Herzen und kummervollen Gemüt im Bette lag, dem Tode in Gedanken Tür und Tor öffnete, während das Leben partout nicht aus der Brust weichen wollte, sich dort wie ein lästiger Reizhusten, den man sich so leicht an feuchten Wintertagen einfängt und trotz aller Säfte und Kuren erst wieder im Frühling loswird, festsetzte. Nur, wie sollte die ewige Finsternis hereinbrechen, wenn der Tod, welcher die Tore hätte öffnen sollen, schon den Chauffeur als Ziel auserwählt hatte? Was war zu tun, nachdem aus dem Boten ein Dieb geworden war? Dringliche Fragen, auf die der Clown keine Antwort hatte. Er ließ seinen Blick durch das Zimmer gleiten, rätselte, wie viele Kollisionen mit der Tischplatte sein Schädel wohl aushielte, bis er brach, sinnierte, ob man an einem verschluckten Telefonhörer ersticken könne, grübelte, welche Tötungsmöglichkeiten ein Sessel offerierte. Er zog sogar in Betracht, aufzustehen und ins Bad zu gehen, damit er sich im Waschbecken ersäufen konnte, was er aber bleiben ließ, da er wohl im Zustande der Ohnmacht zu Boden stürzen würde, leider ohne sich dabei durch eine Konfrontation mit der Badewannenkante das Genick zu brechen. Mit fortschreitendes Zeit wuchsen Ratlosigkeit und Verzweiflung zu solcher Größe an, dass Rigoletto sich auf dem Bette erhob, das Fenster öffnete und den Tauben am Dach zuschrie, ihr Werk endlich zu vollenden, hatte seine geliebte Frau Charlotte doch in einem durch einen dieser Vögel verursachten Mopedunfall ihr Leben gelassen, aber keines der Tiere erbarmte sich des Bajazzos, indem es in seinen Rachen flog oder die Halsschlager mit dem Schnabel zerriss, sondern sie alle blieben dümmlich gurrend auf dem Dache sitzen. Der Clown zog sogar in Erwägung, da er im ehedem im Fernsehen aufgeschnappt hatte, dass der Stoff dadurch nahezu unzerreißbar wurde, auf die schwarze Seidenkrawatte, die er trug, zu urinieren, brachte es aber nicht übers Herz, ein Geschein seiner teuren Lotte auf diese Art zu entweihen. Zu leben war schwer, zu sterben aber anscheinend noch schwerer. Erschöpft ließ sich der Bajazzo ins Bett fallen, drückte sein Gesicht in den Polster, willig seinen letzten Lebenshauch in den Baumwollbezug zu hauchen, doch er atmete weiter. Unbedeutend wie tief er in dieses weiße Meer tauschte, er atmete weite. Auch als er die Luft anhielt; nach einer Pause von zwei Minuten atmete er weite. Die Zeit schritt voran und so tat es auch das Leben des Clowns. Rigoletto lag bewegungslos im Bett, den Kopf im Polster versunken, doch seine Gedanken befreiten sich immer öfter aus ihrem Gefängnis der Trivialität und es dauerte nicht lange, bis der Baumwollbezug, welche sich über das Gesicht spannte, bittersüße Reminiszenzen weckte: Schon einmal war er so im Bette gelegen, ohne Freude, aber mit viel Kummer im Leib, weil sein Leben – damals aus finanziellen Gründen – in Trümmern lag, als eine helle, leicht verschleierte Stimme Frauenstimme, deren Intonation durch den Alkohol etwas unsicher war, zu ihm sprach und kaum die ersten Worte sein Ohr erreicht, spürte er wie zarte Finger seinen Rücken liebkosten. Wie an jenem tröstlichen Abend wandte sich Rigoletto nun im Bette des Hotels Imperial liegend um, doch keine jadegrünen Augen blickten ihn an, keine schmalen, weichen Lißßen strichen sanft über Wangen. Stattdessen starrte die weiße Decke zurück. Nur feuchte Tränen benetzten seine Wangen. Er nahm den Polster, der an seiner rechten Seite lag, hob ihn hoch und platzierte ihn auf seiner Brust. Verträumt, ohne seinen Blick von der Decke zu nehmen, strich er liebevoll über den weißen Baumwollbezug, imaginierte, dass seine Fingerkuppen Charlottes zarte Haut berührten, glaubte den süßen Duft ihres Rosenparfums in der Nase spüren zu können, redete sich ein, dass das leichte Gewicht auf seiner Brust der Kopf derer sei, die er immer noch liebte, die ihm so schändlich genommen worden war. Unzählige Abende hatte Charlotte so an seiner Seite gelegen, den Kopf auf der Brust, die Hände mit den Haaren, die aus seinem Bauch wuchsen, spielend. Sie erzählte bei den Gelegenheiten gerne und umfangreich von ihren alltäglichen Erlebnissen, berichtete von Vorkommnissen auf der Straße, schilderte die kleinen Probleme und Freuden von nahen Bekannten und Freunden, sprach dabei aber immer mit ehrlicher Begeisterung und großer Anteilnahme, sodass das Mitgeteilte nie trivial oder langweilig erschien, obschon er es in verwandter einige Male vernommen hatte. Bisweilen, nach entbehrungsreichen Stunden oder Tagen der Trennung, lauscht er dem tröstenden Klang ihrer Stimme, ohne den gesprochenen Worten allzu große Beachtung zu schenken, erfreute sich am vertrauen Gewicht auf seiner Brust, fuhr gedankenverloren und glücksversunken durch den goldblonden Schopf, die großen, langen Finger durch ein Heer zartester Taue gebändigt und geborgen wissen. Nun, nach Fortunas Raum und Grausamkeit, ist ihm in Zeit der Not sowie des Leids nur ein fremder Polster geblieben, der nie das Haupt der Geliebten gebettet hatte, dessen kühler Baumwollbezug nicht die Wärme ihres schlanken Körpers, den betörenden Duft ihres Haares ermangelte. Mit ausgezerrter Stimme und an der Decke haftenden Blick fragte der Clown: »Warum hast du mich verlassen?« Da klopfte es an der Tür. Doch er reagierte nicht, sondern lag im kümmerlichen Versuch tot zu sein regungslos auf dem Hotelbette, ehe sich das Klopfen lauter und dringlicher wiederholte. Dann stand er unter leisem Seufzen auf und schlurfte lustlos zur Tür. Kaum hatte er diesen einen Spalt breit geöffnet, als er eines süßlich-schweren Dufts, im Charakter gleichermaßen betörend wie aufdringlich, gewahr wurde. Es handelte sich um das Parfum der Frau, die vor ihm stand, deren Körper von hohem, aber hagerem Wuchs war. Unter dem schlichten, roten Kleid, das sie trug, bargen sich ein flacher Busen und eine schmale Hüfte. Aus kleinen, runden Knien wuchsen lange, dürre Waden und mündeten in schmächtige, von schwarzen Stöckelschuhen umhüllte Füßchen. Zwischen zierlichen Schultern stieg der bleiche Hals empor, auf dem ein Gesicht thronte, das sowohl pentagonal als auch oval zu sein schien, denn führte man den Blick vom runden Kinn beginnend über die Mitte des Antlitzes, fielen einem, nach kurzem Verweilen am kleinen, von prallen, roten Lippen umschlossenen Mund, unweigerlich die kräftigen Wangenknochen ins Auge, womit man schon die drei Punkte gefunden hatte, die mit den Enden der schmalen Stirn das Fünfeck bildeten. Folgte man jedoch der geschwungenen Linie des Unterkiefers, welcher die eingefallenen, rötlich schimmernden Wangen begrenzte, über den Ansatz der langen Ohren zur Stirn, fand sich keine Ecke oder Kante. Zwischen den stark geschminkten Augen, deren dunkelbraune Iris sich kaum von der schwarzen Pupille schied, sondern ohne chromatischen Bruch in dieser aufging, als hätte man einen Tropfen schwärzester Tinte auf blütenweißes Papier stürzen lassen, wurzelte eine elegante Nase von durchschnittlicher Länge, deren stolzer Rücken ohne Bruch oder Höcker von der kleinen Senke am Ende Stirn bis zum kleinen Knopf an der Spitze wuchs. Das pechschwarze Haar, das die helle Haut fast schon kränklich bleich erschienen ließ, war tief im Nacken zu einem Knoten gebunden. Die großen, blassen Hände, die sich in lange, dünne Finger zergliederten, hielten ein Paket. Insgesamt war die Unbekannte von elbischer Erscheinung, besaß eine ätherische sowie ästhetizistische Aura als hätte man sie dem Theater geraubt oder der Malerei gestohlen. Die Frau sprach: »Ihr Paket.« Ihre Stimme war hoch, aber nicht schneiden oder schrill, jedoch leicht verschleiert, auf angenehme Weise belegt. Ratlos blickte Rigoletto auf die Kartonage, dann auf die Frau und wieder auf die Kartonage. Es war sonderbar. Er wusste nicht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Zwar erwartete er sehnsüchtig ein Paket, doch die Überbringerin schien keine Botin zu sein, zumindest war sie nicht wie eine gekleidet. Auch fand sich keine Anschrift am Karton. Die Frau wiederholte: »Ihr Paket. Sagen Sie bloß, dass Sie Ihr Paket nicht wollen.« Trotz des unverfänglichen Inhalts der Worte, ließ der Ton, in dem sie gesprochen worden waren, keinen Zweifel daran, dass Rigoletto die Sendung entgegenzunehmen hatte. Zögerlich umfassten seine Finger den Karten, doch bevor er sich bedanken könnte, hatte sich die Unbekannte ohne ein Wort des Abschieds abgewandt und war in die Nacht verschwunden.

Sofort umschloss ihn die schwüle Mailuft, drang durch den dünnen Leinenstoff seines Anzugs, schmiegte sich wie eine aufdringliche, aber gänzlich reizlose Verführerin, fast schon dirnenhaft an seine Haut und evozierte dabei unmbarmherzig Erinnerungen an überfüllte Züge und verschwitzte Bettlaken. Während diese feuchtwarme Bewunderin ihre bleierne Hand in seinen Nacken steckte und mit ihren schmutzigen Fingern den ganzen Körper zu greifen suchte, stellte sich Rigoletto die Frage, ob sein Tod in den Armen der Donau, die

»Sie hat geschossen. Mich hat’s getroffen. Es ist vorbei, für mich und für den Anzug. Das Blut kann man noch auswaschen, aber die Löcher sind das Todesurteil. Ein komisches Gefühl zu sterben,« konstatierte Rigoletto trocken, nahm seine Hand von der Brust und betrachtete ungläubig sein eigenes Blut. Staunend mit vor Überraschung weitgeöffneten Mund blickte er in die Gesichter derer, die einen Kreis um ihn gebildet hatten. Sie schwiegen, starrten stumm und dumm einer Herde Esel gleich. Nur ein älterer Herr mit schütterem grauen Haar und fleckigem Sakko nuschelte, dass jemand doch endlich die Polizei rufen solle, doch Rigoletto wollte das nicht, er wollte sterben, wollte nicht mehr ohne Charlotte leben müssen und war schon im Begriff seinen Kopf zu drehen, diesen Mann, der an der Bar saß und seinen riesigen Bauch zwischen Tresen und Hocker zwängte, anzuschauen und ihm zu sagen, dass ihm die Polizei auch nicht mehr helfen könne, doch dann entschied er sich anders, niemand würde den Worten eines Sterbenden Beachtung schenken. Rigoletto fiel auf die Knie und hoffte auf den Tod, harrte dem Ende dieser Farce. Paare dumpfer Augen schauten ihm dabei zu, warteten, dass etwas passierte. Leere Blicke bestürmten ihn, für die Gaffenden zu handeln, drängten ihn dazu, die Vorstellung fortzuführen, die mit den Schüssen ihre Klimax erhalten hatte, und so begann er zu erzählen: »Liegt ein toter Clown in der Wüste und wird von zwei Geiern gefressen; sagt der eine zum anderen-«. Sie stand am Fenster, blickte hinab in die Annagasse, beobachtete das stille Treiben in der schmalen Seitenstraße, als gäbe es im Spielsaal nichts, das ihrer Aufmerksamkeit Wert wäre. Die filigranen Finger stemmten sich kraftvoll gegen die Fensterbank, ließen durch diesen Akt der Anstrengung die dürren Sehen hervortreten, wodurch die Narbe, als wollte man sie dafür bestrafen, dass sie den Rücken der linken Hand entstellte, in eine groteske Form gezwungen wurde. Die jadegrünen Augen, deren Ränder von zarten, rosa Äderchen durchzogen waren, schimmerten schwach im Widerschein der matten Casinobeleuchtung. Das goldblonde Haar trug sie offen, sodass die Locken wie ein Vorhang aus Bernstein über die zierlichen Schultern fielen, zwischen dem eine große Nase mit geradem Rücken und breiten Flügeln wie ein Stück Elfenbein hervorragte. Ein weißes Kleid, welches von bestimmter Schlichtheit war, bedeckte den dürren Körper, verhüllte die dünne Brust. »Was hat jetzt der eine Geier zum anderen gesagt oder war das wieder einer dieser bescheuerten Antiwitze? « schrie einer der Gaffer aus der Menge und riss Rigoletto aus seiner Starre, der seine offene Hand gen die blonde Frau richtete, die er irritiert beäugte, um wenige Augenblicke später mit vor Leid gebrochener Stimme hervorzustoßen: »Charlotte! Gott! Meine geliebte Charlotte! Nein, es ist unmöglich; es muss ein Wahnbild sein. Sie ist es! Charlotte, meine Liebste, antworte mir. Teurer Engel, sieh mich an. Hab Erbarmen, meine Taube. Du darfst mich nicht verlassen, nicht noch einmal. Furchtbarer Gott, warum nimmst du mir das Leben, schenkt mir aber den Lebenswillen? Nein, alles Lüge. Alles Trug. Nur die Phantasien eines Sterbenden. Charlotte, du bist tot. Du bist tot! Welch ein Fluch, sie ist tot, meine Charlotte. « Der Clown wandte seinen Kopf, blickte ungläubig in die kalten Augen seiner Mörderin, starrte sie einige Augenblicke fassungslos an, dann kippte er nach vorne und ging mit blutroter Brust zu Boden, vom herannahenden Tod in den Staub gestoßen. Unter Bindung seiner letzter Kräfte versuchte er sich aufzurichten, wollte noch einmal das Trugbild sehen, das falsche Lächeln blicken, das ihn wie das Lockmittel transzendenter Mächte schien, doch seine Reserven waren erschöpft, er schaffte es nicht, blieb im Staub liegen, zu dem er bald werden würde, stöhnte seine Anstrengung und sein Leid in den grünen Teppichboden des Casinos, dessen sanfte Farbe sich mit dem Blut des Clowns biss. Eine Mauer aus Beinen in Hosen und Strümpfen verwehrte ihm den Blick zum Fenster, versperrte ihm den Pfad ins geborgte Glück, hielt die letzte Illusion, die schönste aller Lügen zurück. Ein Schuss, fiel, dann ein zweiter. Menschen plärrten. Beine bewegten sich. Die Mauer fiel. Der Platz am Fenster war leer. Rigoletto schloss die Augen, verschloss sie vor der Wahrheit und als er sie in der Hoffnung öffnete, dass er sich geirrt hatte, dass doch jemand am Fenster stand, blickte er in das Gesicht einer Blondine. Die azurblauen Augen waren starr, die Pupillen geweitet, die kleine rosa Schleife verrutscht und der Teppich aus dunkelblondem Haar, der sich über ihre roten Lippen gelegt hatte, trug lieblichen Zierrat aus kleinen Blutstropfen. Die Mörderin war ermordet worden. Der Gerechtigkeit hatte man vielleicht sogar genüge getan, eine Frage die Philosophen zu beantworten hätten, doch es spielte für Rigoletto keine Rolle mehr. Die Dame hatte ihr Leben ausgehaucht und der Clown pfiff auch nur noch aus dem letzten Loch, sodass er die Leiche weder als Mahnmal des herannahenden Todes noch als Zeichen für Fortunas Launenhaftigkeit sah, sondern einfach nur als Hindernis, das ihm den Blick zum Fenster verstellte. Unfähig sich zu bewegen, den Köpf zu heben, um das Trugbild zu suchen, um zu schauen, ob es sich gar hinter ihm barg und um ihn weinte, unfähig, ihn seinen falschen Armen Geborgenheit zu finden, stöhnte er mit letzter Kraft »Charlotte« und hauchte mit diesem leisen Ruf nach seiner Liebsten sein Leben aus, sodass er nicht mehr Zeuge wurde, wie die Menge in Panik und Schock zerstob. Nur eine kleine Gruppe älterer Damen hatte unter einem Roulettetisch Schutz gesucht, da das Laufen in diesem Alter nicht mehr so einfach von der Hand ging, betrachtete von diesem Ausguck den Körper im beigen Leinenanzug mit den roten Flecken, der einem Clown gehört hatte, der nun nach Frau und Freude auch sein Leben an Fortunas Furor verloren hatte und erzählte sich wie schrecklich das Erlebte gewesen sei, auch wenn man nicht wie der Clown leblos, am grünen Casinoboden lag. Nichtsdestotrotz wurde der hilflose, da tote Rigoletto im Mitleid begraben, ohne dass man sich auch nur ansatzweise interessierte, wer der Leiche Vorgänger überhaupt war. Rasch verbreitete sich die Kunde dieses schrecklichen Verbrechens, das allgemeine Bestürzung hervorrief, weshalb die auflagenstärkste österreichische Tageszeitung am nächsten Morgen titelte: »Sch(l)uss mit lustig. Starclown Rigoletto ermordet« und ergänzte darunter in kleinen, roten Lettern: »Karotte war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Englein fort.«

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