Stupidedia:Adventskalender 2014/23

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Wow, ein Herrenslip. Sowas habe ich mir schon immer gewünscht,
-ich wusste es nur noch nicht.

Eigentlich bin ich nicht so der Schenker, doch es ist der letzte Tag vor Weihnachten. Für mich verkörpert der 23. Dezember den wahren Geist des heiligen Fests, bin ich doch nicht nur den gesamten Advent mit meinen christlichen Werten dem Konsumterror aus dem Weg gegangen, sondern habe auch den Kleinen, Alten und Schwachen den Vortritt bei der Selbstbescherung gelassen und ohne mein Zutun oder lästige Spenden für den materiellen Erfolg individueller Wünsche gesorgt. Ich fühle mich mit diesem laissez faire-Prinzip immer wie ein moderner kapitalistischer Samariter, besonders da die Überraschung über das, was mir die gierigen Rentner und Blagen zum Schenken übrig gelassen haben, für mich selbst am größten ist. Ähnlich geht es meinen Angehörigen, die so dumm sind und meine Geschenke immer schon zu Ostern kaufen, aber selbst nicht wissen, ob die ihrigen zeitig zum Fest da sein werden. Aber darum geht es ja im Advent: Hoffnung und Vorfreude.

Um fünf Uhr heute Morgen bin ich erwacht. Sanfte Kindergeräusche wogen mich aus dem Schlaf und sorgten für ein zweistündiges, von Rachefantasien getragenes Hindösen, in dem ich mir vorstellte, was ich mit dem Knaben anstellen werde, wenn er es irgendwann wirklich schafft durch das höchst angestrengte und dauerhafte Springen vom Bett durch die Decke zu krachen. Irgendwann rollte ich seitlich aus dem Bett und tastete mich durch den stockfinsteren Raum. Mit dem letzten Augenlicht schaffte ich es zum Fenster. Es war so früh, dass sogar mein Wecker noch schlief. Ich trat unter das Fenster, riss es auf und atmete die kühle Morgenluft ein. Eine steife Brise wehte mir entgegen und verwandelte den Nachtrotz unter meiner Nase in einen kleinen Eiszapfen, der abbrach und auf die Heizung fiel. Da bemerkte ich, dass die Heizung lief. Ich döste abwesend vor mich hin, den zugeschwollenen Blick aus dem Fenster schweifend und dachte bei mir: die holst du nicht mehr ein. Dann lächelte ich für einen Moment still in mich hinein: Der erste Witz des Tages. Der landet nachher gleich in einem lustigen Artikel im Internet. Das Versprechen bin ich mir selbst allerdings schuldig geblieben.

Oh du feuchtfröhliche

Ich beschenke zu Weihnachten sowohl Freunde als auch Familie. Wie viele das jeweils sind, hängt vom aktuellen Einkommen ab, letztes Jahr musste ich wieder zwei Freunden von mir kündigen, weil ich die Geschenke einfach nicht mehr bezahlen konnte. Meine Masche, nur demjenigen etwas zu schenken, der auch wirklich artig war, ist damals aufgeflogen, als ich einem guten Freund, der von einer achtmonatigen Reise von einer Ärzte ohne Grenzen-Mission in Zentralafrika zurückkam, zu Weihnachten vorwarf, er hätte bei seiner Willkommensparty den anderen absichtlich alle Celebrations weggefressen.

Einige Geschenkwünsche werde ich heute jedenfalls erfüllen. Meine Schwester wünscht sich einen Strandbuggy und einen neuen Staubsauger. Ich bin mir sicher, sie wird sich über einen Schal freuen. Ein Bekannter von mir hat immer ganz ausgefallene Wünsche, die er mir nur nennt, weil er denkt, ich erfülle sie nicht. Aber weit gefehlt, ich werde keine Zeit, Kosten und Mühen scheuen, um rein aus Trotz genau das zu besorgen, was er haben will. Das ist auch der hauptsächliche Grund, warum meine Schwester nur einen Schal bekommt. Man muss eben Prioritäten setzen. Schließlich wäre da noch mein Neffe, der wie jede Weihnachten Angst vor mir bekommt. Dieses Mal habe ich aber beschlossen, ihm gezielt das Fürchten zu lehren.

Just aus dem Haus gegangen sehe ich im Vorbeigehen einen Mann mit heruntergezogener Hose auf dem Dach des Nachbarhauses stehen und in den Kamin pinkeln. Mein erster Gedanke, dass Santa Claus sich hier auf Heiligabend vorbereite, entpuppte sich als Fehleinschätzung. Es war der Nachbar selbst, offenbar gab es mal wieder Eheprobleme. Beim Körperumfang dieser Familie würde es mich aber auch nicht wundern, wenn dem diabetischen Weihnachtsmann bei seinem letzten Besuch dort milch- und keksbedingt beide Beine abgefallen wären und seine Leiche dort schon seit einigen Jahren im Keller läge.

In der dicht belagerten Innenstadt angekommen werde ich in das nächste Kaufhaus geschoben, ohne dass meine Schuhe auch nur einmal das Pflaster berührt haben. Gleich am Eingang begrüßt mich ein freundlicher Coca Cola Mitarbeiter, der mir einen Eierpunsch oder etwas auf der Basis dieses Getränks anbietet. Als ich ablehne und ein Stück weitergehe, wird er wütend und ruft mir recht unweihnachtliche Schmähungen hinterher, also will ich mal kein Spaßverderber sein, kehre um und nehme aus Höflichkeit einen Schluck aus seinem Giftmischerkessel. Unter der Versicherung, dass das im Scheinwerferlicht gekochte, jauchegleiche Gebräu nach fermentierten Algen das köstlichste sei, was ich je getrunken habe, sage ich mich los und lenkte meine Schritte zielstrebig zu dem nahen Bekleidungsgeschäft, in dem diese süße Verkäuferin arbeitet. Mal sehen, ob sie sich noch an die einstweilige Verfügung gegen mich erinnern kann.

So alt und so böse...

Im Laden angekommen mache ich mich so zielstrebig es geht wieder auf die Suche nach Schals, werde aber völlig unverschuldet in die Damenunterwäsche-Abteilung geschoben. Vor einem Regal mit Liebestötern hat sich eine kleine menschenfreie Insel gebildet, auf der ich zum ersten Mal den Kaufhausfußboden sehe. Ich stelle mich auf einen kleinen Fußhocker und halte nach Winterbekleidung Ausschau. Da fällt mein Blick erneut ganz unverschuldet in eine der Umkleidekabinen auf einen recht unvorteilhaft sitzenden Damenslip, der einer übergewichtigen, früh gealterten Mensch-Orange-Kombination die Äquatorregion einschnürt. Ein greller Schrei tönt aus der Kabine, ich wundere mich, hätte ich doch eigentlich mehr Grund zu schreien und entdecke just in dem Moment ein Schalregal. Eine Rentnerin nimmt gerade das letzte Stück heraus und als sie es in der Hand wiegt und über die weiche Kaninchenwolle streicht, treffen sich unsere entsetzten Blicke. Aug in Aug mit der Gefahr wiegt die Schnäppchenjägerin ihren rosinenartigen Kopf auf die Seite, bringt ihren kaputtgebremsten Kampfrollator in Position und dreht sich schlagartig Richtung Kasse, wobei sich die Menschenwogen vor ihrer Gehhilfe teilen. Gnadenlosigkeit liegt in ihrem glasigen Blick, sie leckt sich kurz über die gelben Zähne, wobei ihr Gebiss leicht verrutscht. Ich sprinte los.

Auf Tauchgang werfe mich der gewaltigen Strömung des Menschenflusses auf dem Hauptweg entgegen. Als ich auf halber Strecke Halt mache und den Kopf zur Orientierung in einer Gruppe chinesischer Studentinnen in die Höhe recke, sehe ich zwei bullige Sicherheitsmänner gerade auf mich zukommen. Hinter den Regalen verschwindet eine kleine Gestalt, soweit ich ausmachen kann, war es die hübsche Verkäuferin. Sie hat sich also doch an mich erinnert. Augenblicklich lasse ich von der Mission ab, greife mir eine kleine Blumenhaarspange von einem vorbeitreibenden Wühltisch und hänge mich damit auf Knien rutschend an die chinesischen Studentinnen. Am Ende des Ganges werde ich aus der Eingangstür gespült und lenke meine Schritte schnell weg von diesem Ort.

Ich beschließe, später vielleicht mit einem Tarnbart zurückzukehren und mache mich erstmal auf die Suche nach dem Geschenk für meinen Bekannten. Ganz begeistert von unsinnigen Geschenktipps aus dem Internet wünscht sich der dieses Jahr von mir Chlamydien. Irritiert von den ersten Google-Suchergebnissen zu diesem Begriff, beschloss ich, erst einmal in der Zoohandlung nachzufragen, die haben meistens so etwas. Ich mache mich also nun auf zum Geschäft, aus dem mir ein subtropischer Föhn entgegenweht und mir der unvergleichliche Zoo-Duft aus Mineralstoffzäpfchen und nassen Hundehaaren in die Nase steigt. Als ich die leicht vegan angehauchte Verkäuferin in Rastatracht sehe, gehe ich ohne zu zögern auf sie zu und frage sie eindringlich und forsch, ob sie Chlamydien habe. Kaum habe ich jedoch meine Frage gestellt, da starrt sie mich vorwurfsvoll aus dem Laden. Ich wette, sie hatte welche.

Frustriert und schwitzend gehe ich einen Moment vor die Tür und setze mich zu einem Rentner auf die Bank. Der Mann steht auf und geht weg. Keine schlechte Idee, denke ich und ziehe zum Abreagieren ein wenig durch die weihnachtlich geschmückten Häuserbanden. An einem mit Lichter beschmückten Fenster ist die Gardine ein Stück zur Seite gezogen, neugierig schaue ich hinein. Drinnen knistert ein Feuer, ein schön geputzter Tannenbaum steht hinter der Tür und auf dem Tisch steht eine fast leere Schüssel Glühwein. In dem Moment, in dem mein Blick von dem Glühwein auf die anderen Spirituosen auf dem Tisch fällt, tritt ein schnauzbärtiger älterer Herr vor das Fenster und zieht die Gardinen zu. Vorher konnte ich von seinen Lippen noch Worte ablesen wie „‘‘Hau ab, du Terrorist‘‘“. Vielleicht war es aber auch „wirrer Christ“, ich bin da nicht sicher. Ich kann den Mann aber verstehen, die ganze Angst vor Überfremdung in der letzten Zeit, Weihnachten bleibt man eben gern unter sich. Wozu sind die Menschen in Dresden denn sonst auf die Straße gegangen?

So ein Schild kann nun wirklich jeder mal übersehen.

Ich ziehe weiter in den nahen Park, unterwegs überlege ich, mit welchem Geschenk ich meinem Neffen nun das Fürchten lehren will: einem Eimer voll Maden? Einer Spielfigur von Stephen Kings Es? Aber darüber würde er sich vermutlich noch freuen. Der alte Grimm-Ratgeber hat mir da auch überhaupt nicht geholfen. Durch das kalte Wasser habe ich nur eine Grippe bekommen, an der das einzige gruselige der Gedanke an die Rezeptgebühr war.

Als ich so bei mir überlege, dass das alle noch nicht so das richtige zu sein scheint, höre ich es in einem nahen Gebüsch rascheln und knistern. Neugierig schleiche ich mich heran, spähe durch die Hecken und schaue in das Antlitz eines ordnungswidrigen Parkkackers. Er scheint einen Moment zu überlegen, ob er weglaufen oder mich attackieren soll, dann entscheidet er sich für das letztere. Nach einem harten Kampf an dessen Einzelheiten ich mich nicht mehr erinnere, komme ich im Gebüsch liegend wieder zu mir. Von oben läuft mir leichter Nieselregen in die Nase, von rechts dampft mich ein warmer Haufen an. Bekleidet bin ich nur noch mit einem schwarzen Ledermantel. Ich denke bei mir, dass es klischeehaft wäre, jetzt etwas zu sagen wie „Scheiße“ und konzentriere mich darauf, ungesehen aus dem Gebüsch zu fliehen. Doch ständig laufen Leute vorbei und ich beginne wieder an das Geschenk für meinen Neffen zu denken.

Da springt mich plötzlich von oben ein Eichhörnchen an und beißt gezielt in meine beste Stelle. Ich heule laut auf und stürze mit schmerzverzerrter Miene aus dem Gebüsch über den Kiesweg. In dieser Sekunde ergreift eine steife Böe meinen Mantel und das flatternde Textil gibt den Blick auf meinen Leib wie Gott ihn schuf preis. Vor mir auf dem Weg steht eine alte Frau mit entsetztem Blick in Abwehrhaltung. In diesem Moment bricht alles auf mich ein, die Geschenkenöte, die Verfolgungen, der Hass auf die verbitterte Menschheit, aber vor allem der Frust darüber, dass ich nicht weiß, wie ich anderen das Fürchten lehren soll. Geistesverloren stürme ich auf die Frau zu und frage sie mit flehender Stimme: Haben sie Angst?

Scheiße, was war das denn?

Zwei Stunden später erwache ich im Krankenhaus, meine Augen brennen vom Tränengas und mein Kopf dröhnt. Vor mir steht eine rothaarige junge Ärztin und lächelt mich an. „Na, gut geschlafen?“ fragt sie. „Wir haben sie im Park gefunden, sie hatten eine leichte Gehirnerschütterung“. Ich schaute unter die Decke, ich trug jetzt einen Krankenkittel. Wenn sie sich erholt haben, vergessen Sie Ihren Mantel nicht“, sagte sie und deutete auf den Kleiderständer „und wenn sie noch andere Bedürfnisse haben, ist da hinten ein Klo- Wir sind da sehr diskret“, scherzte sie augenzwinkernd und schwebte mit ihrem weißen Kittel um die Zimmerecke.

Am nächsten Tag kamen mich Freunde und Verwandte besuchen. Traurig blickte ich sie an und log meiner Schwester und meinem Bekannten kackdreist ins Gesicht, dass mich eine Gruppe Rowdys niedergeprügelt und alle meine Geschenke gestohlen habe. Aber das sehen sie mir nach, schließlich liege ich im Krankenhaus. Sodann übergeben sie mir meine Geschenke. Meine Schwester schenkt mir einen Schal. Mein Bekannter erzählt mir, dass er schon heute morgen tatsächlich Chlamydien bekommen hat- und zwar von meiner Schwester. Ich bin mir aber auch nicht mehr sicher, ob das jetzt ein Happy End war oder auf was ich eigentlich hinauswollte. In diesem Sinne: Fürchterliche Weihnachten!


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