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Diverses:Das Paradies der Todgeweihten: Unterschied zwischen den Versionen

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(Ich hoffe einmal, dass Zynismus immer noch en vogue ist)
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'''Ignacio:''' Sie wollen also sagen, dass ich nicht meine Frau, sondern nur ihre Liebe vermisse.<br>
 
'''Ignacio:''' Sie wollen also sagen, dass ich nicht meine Frau, sondern nur ihre Liebe vermisse.<br>
 
'''Pandora:''' Ein Mann, der einer Frau verfiel, die ihn nur demütigte, und der daher Trost im Whisky suche, hat mir einmal anvertraut: Die unerfüllte Liebe ist wie ein guter Whisky. Wenn man sie von Zeit zu Zeit in kleinen Mengen genießt, so gibt es kein himmlischeres Gefühl; doch wer ständig von ihr leben muss, geht daran zu Grunde. Ich kann nicht über unerfüllte Liebe sprechen, aber zumindest bin ich in der Lage die Folgen des Whiskys zu verifizieren. Spätestens nach dem fünften Glas ist die Zunge taub und der Rachen brennt. Das Trinken wird zur Qual. <br>
 
'''Pandora:''' Ein Mann, der einer Frau verfiel, die ihn nur demütigte, und der daher Trost im Whisky suche, hat mir einmal anvertraut: Die unerfüllte Liebe ist wie ein guter Whisky. Wenn man sie von Zeit zu Zeit in kleinen Mengen genießt, so gibt es kein himmlischeres Gefühl; doch wer ständig von ihr leben muss, geht daran zu Grunde. Ich kann nicht über unerfüllte Liebe sprechen, aber zumindest bin ich in der Lage die Folgen des Whiskys zu verifizieren. Spätestens nach dem fünften Glas ist die Zunge taub und der Rachen brennt. Das Trinken wird zur Qual. <br>
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'''Ignacio:''' Das ist nicht sonderlich aufbauend. Sie haben zu mir gesagt, dass glückliche Jahre keine verschwendeten Jahre seien. Nun wollen Sie aber anscheinend den Rest meines Lebens verschwenden, indem Sie mir erzählen, dass ich nicht meine Frau, sondern nur meine Liebe zu ihr vermisse. Noch dazu soll mich dieser Verlust auch noch zu Grunde richten. Kurzum: Die Vulkanologen prophezeien einen Ausbruch, aber Sie sind nicht so gnädig und prophezeien den Zusammenbruch meines Glücks. Ich habe zwar weder von Ästhetik noch von Kunst viel Ahnung, aber schön ist das nicht. <br>
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'''Pandora:''' Kritisieren Sie nicht meine Worte, sondern Ihre Illusionen, deren Zusammenbruch in Ihren Augen eine Ruine hinterlässt. Mit dem Wahn sollten nur diejenigen kokettieren, die auch in der Lage sind, ihn als Trugbild zu entlarven. Aber Sie konnten anscheinend die Pluralität der Welten nicht erkennen und stehen jetzt vor der leeren Wahrheit. Wir lieben keine Personen oder Gegenstände, sondern nur die Gefühle, die sie in uns evozieren. Wir brauchen nicht einmal einen Gegenstand, sondern nur Bewusstsein von einem Gegenstand, um Gefühle zu  effizieren. Doch die größte Blasphemie ist die zwischenmenschliche Liebe, denn es ist populärer Irrglaube, dass man durch sie der Einsamkeit unserer solipsistischen Existenz entfliehen könnte. Das sind wahnhafte Narreteien eines feigen Philisters. Als könnten wir uns an unseren eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. <br>
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'''Ignacio:''' Kein Wunder, dass es niemanden gibt, denn Sie anrufen wollen oder besser gesagt, der von Ihnen angerufen werden will. Wenn Sie Liebe mit egozentrischem Narzissmus verwechseln, so ist das Ihre Sache, aber ich habe es satt, dass schon wieder eine Person über die Liebe herzieht, obwohl Sie keine Ahnung hat. Über dieses wundervolle Gefühl kann man nur schlecht reden, wenn man des nicht kennt. Sie sind sicherlich irgendeine verbitterte Xanthippe, die noch nie verliebt war. <br>
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'''Pandora:''' Noch nie verliebt? Humbug! Selbstverständlich habe ich den Nektar der Liebe genossen und vermutlich mehr davon, als Sie je erhaschen werden. Selbstverständlich kenne ich das Gefühl, wenn man plötzlich aus der Welt gerissen wird und die Lippen ein seliges Lächeln formen; wenn das Herz rast und man doch ganz entspannt ist, wenn man von einer unglaublichen Leichtigkeit erfüllt wird und dennoch alles Sinn hat. <br>
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'''Ignacio:''' Sieh an. Sie haben also doch ein Herz. Wer war dieser Romeo?<br>
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'''Pandora:''' Also es war ein kühler Dezemberabend in meinem ersten Jahr als Studentin in Wien. Nach langem Anstehen hatte ich eine Stehplatzkarte für die Vorstellung von Mozarts „Don Giovanni“ in der Wiener Staatsoper erworben und während ich die eleganten Besucher in ihren festlichen Roben beobachtete, wie sie die Festtreppe nach oben zu den Logen schritten, die damals für mich als arme Studentin unerschwinglich waren, erfasste mich eine fast schon ridiküle Vorfreude, doch wirklich ridikül war sie nur im Vergleich zur Euphorie, die wenige Minuten später von mir Besitz ergreifen sollte. Nichts ahnend ging ich zurück zu meinem Stehplatz und blickte auf die Bühne. Das Licht im Zuschauerraum erlosch und das Rauschen, das ein Resultat der zahlreichen Gespräche unter den Besuchern war, verstummte. Für einen Augenblick war es so still, als gäbe es keine Luft mehr, die dem Schall als Medium dienen könnte, dann wurde diese Stille von einem satten D-Moll-Ton überrollt und meine Augen füllten sich mit Tränen. Sofort hatte ich erkannt, dass die Oper immer einen Platz in meinem Herzen haben wird.<br>
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'''Ignacio:''' Ihr großer Liebhaber ist also die Oper? Kein Wunder, dass Sie keine Ahnung von Liebe haben. <br>
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'''Pandora:''' Meine große Liebe ist die Schönheit und die Musik der Oper ist nun einmal schön. Wenn Sie so gütig wären und für einige Augenblicke schweigen könnten, dann würden Sie sie hören. Nach all den Jahren lausche ich immer noch ihrem Klang. Ihre Frau aber hat Sie – wenn ich mich recht erinnere – verlassen. <br>
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'''Ignacio:''' Das ist aber keine echte Liebe. Das ist pervers. Wie kann ich Musik lieben? <br>
  
 
== Vierter Akt ==
 
== Vierter Akt ==

Version vom 6. Juni 2013, 23:04 Uhr

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Programmzettel


Satirisches Nationaltheater Stupidediens
Sonntag 09. Juni 2013, 20 Uhr


Mixtli Zoanacochtzin

Das Paradies der Todgeweihten
Tragikkomödie in fünf Akten


Ignacio Mundí ..... Antonio Banderas
Paz Mundí ..... Salma Hayek
Señorita Ruiz .... Gina Lollobrigida
Pfarrer .... John Malkovich
Diogenes .....
Figaro ....
Persephone .... Sofía Vergara
Pandora ..... Monica Bellucci
Dulcamara ..... Johnny Depp

Mutter • Kind • Frau 1 • Frau 2 • Frau 3 • Soldat 1 • Soldat 2 • Soldat 3
Ort:Venezolanische Kleinstadt
Zeit:Gegenwart

Erster Akt

Erste Szene

(Badezimmer. Ignacio rasiert sich)
(Paz auf)

Ignacio: Verdammt, ich habe mich geschnitten. Warum müssen Rasierklingen auch so scharf sein?
Paz: Ist wirklich die Rasierklinge schuld oder bringt dich mein Körper so aus der Fassung, dass du gar nicht mehr auf die Rasierklinge achtest?
Ignacio: So kann man es auch sagen.
Paz: Wie meinst du das?
Ignacio: Glaub mir, du willst es nicht wissen.
Paz: Stell dich nicht blöd. Wenn ich es nicht hätte wissen wollen, hätte ich nicht gefragt. Raus mit der Sprache, ich warte auf die Wahrheit.
Ignacio: Die Wahrheit? Ich war wirklich entsetzt wie alt dein Körper geworden ist.
Paz: Nach einem Schnitt in die Wange willst du anscheinend nun auch einen Schnitt durch die Kehle.
Ignacio: Es war doch nur ein Scherz, meine Liebe. Ein harmloser Spaß. Für mich bist du immer noch so schön wie bei unserer Hochzeit
Paz: Und das soll ich dir glauben? Ich soll diese miese Ausrede schlucken? Warum nimmst du dir nicht einfach eine Jüngere, wenn dir mein Körper zu alt ist?
Ignacio: Wie sollte ich mir eine Jüngere nehmen, wenn mein Herz dir und deinem wundervollen Körper gehört.
Paz: Ganz einfach, mach es so wie bei mir: Schwängere sie, sodass sie ihr Studium abbrechen muss und auf ewig an dich gebunden ist. Warum etwas Neues versuchen, wenn deine alte Methode so gut funktioniert hat? (kurze Pause) Stimmt, tut mir Leid, ich habe vergessen, dass du es nicht magst, wenn etwas alt ist.
Ignacio: Fängst du wieder damit an?
Paz: Es tut mir Leid, wenn meine Anwesenheit dem werten Herren nicht so angenehm ist wie die seiner französischen Mädchen.
Ignacio: Französische Mädchen? Von welchen französischen Mädchen sprichst du, bei Gott?
Paz: Meinst du ich sehe sie nicht, die großgewachsenen Mädchen, mit ihren burschikosen T-Shirts und den langen, schwarzen Haaren?
Ignacio: Ich weiß nicht, wo von du sprichst. Meinst du vielleicht die drei Burschen, die immer wieder Computerteile in meinem Geschäft kaufen?
Paz: Mach dich ruhig über deine dumme Frau lustig.
Ignacio: Aber ich mache doch nichts.
Paz: Jetzt bin ich also wieder die Böse?
Ignacio: Äh (…), Das (…), Das (…)
Paz: Wer schweigt, stimmt zu. Ich bin also ein Problem für dich; nichts weiter als ein Klotz am Bein: Alt, hässlich und böse. Ich gebe dir meine Liebe. Koche, putze, bügle für dich und du dankst es mir so. Wie konnte ich bloß auf dich hereinfallen? Ich war so naiv.
Ignacio: Meine Liebste. Ich weiß zwar nicht, was ich getan habe und wie ich damit aufhören soll, aber bitte glaube mir, dass es mir von ganzem Herzen Leid tut und ich es zutiefst bereue, etwas gesagt zu haben – was auch immer das gewesen ist – das dich verletzt hat.
Paz: Wenn du so gut verkaufen wie reden könntest, wären wir längst reich.
Ignacio: Warum sagst du das? Der Laden läuft gut. unsere Tochte studiert im Ausland. Wir haben ein Auto. Es geht uns gut.
Paz: Wirklich? Die Nachbarn machen dieses Jahr Urlaub in Italien, schauen sich Rom, Venedig, Florenz an und wir besuchen wie jedes Jahr diese kleine Pension am Strand, die gerade einmal zwei Autostunden entfernt ist.
Ignacio: Die Nachbarn haben halt auch nur einen Bastard von Hund, der sich gerne mitten in der Nacht die Einsamkeit von der Seele bellt, aber wenn du willst, können wir dieses Jahr gerne nach Mérida oder Maracaibo fahren, aber Italien ist einfach zu teuer. Außerdem gibt es die beste Pizza sowieso bei Alfredo und der ist gleich um die Ecke.
Paz: Du hast auch für alle eine Ausrede.
Ignacio: Was soll ich machen, meine Liebe? Ich kann Geld auch nicht aus dem Nichts herbeizaubern. Unser Leben mag ein einfaches sein, aber es ist auch ein gutes. Glück kann man nicht kaufen und deshalb bist du für mich unbezahlbar, Paz.
Paz:Ich weiß, du meinst es wahrscheinlich nicht böse, aber ab und zu raubst du mir den letzten Nerv.
Ignacio: Paz, meine Liebste, warte.

(Paz ab)

Ignacio: Ich wollte zwar immer eine spontane, temperamentvolle Frau, aber dabei dachte ich mehr an spontanen Sex oder spontane Sandwiches und nicht an spontane Wutausbrüche.

(Kurze Pause)

Ignacio: Verdammt, jetzt habe ich mich wieder geschnitten. Wenn man Menschen auf den Mond schicken kann, kann man sicherlich auch ungefährliche Rasierklingen entwickeln. Warum macht das niemand?

Zweite Szene

(Ignacios Elektronikgeschäft. Ignacio sitzt hinter dem Tresen und liest Zeitung. Señorita Ruiz auf)

Ignacio: Señorita Ruiz, wie geht es Ihnen?
Señorita Ruiz: Sie haben einen köstlichen Sinn für Humor, Ignacio.
Ignacio: Wie meinen Sie das?
Señorita Ruiz: Ich bin 82 Jahre alt. Wenn ich einmal keine Schmerzen habe, bin ich tot.
Ignacio: Ich bitte Sie, Señorita Ruiz, Sie haben eine liebreizende Familie. Wie kann es Ihnen da schlecht gehen?
Señorita Ruiz: Fangen Sie erst gar nicht damit an. Gestern war mein unnützer Enkel bei mir und hat sich ausgeheult. Seine fette Freundin hat ihm zuerst vorgeworfen, dass ihr Übergewicht seine Schuld wäre und als er dann erklärte, sie ist Fett, weil sie so viel Fast Food in sich hineinstopft, wurde er von ihr geschlagen. Trotzdem will er sich nicht von ihr trennen, denn es sei ja alles seine Schuld gewesen. Und dieser Trauminet ist auch noch mit mir verwandt.
Ignacio: Sehen Sie es nicht so eng, wir machen alle Fehler. Außerdem haben Sie noch zwei weite Enkel, wenn ich mich recht erinnere.
Señorita Ruiz: Ein schwacher Trost. Der jüngste will die Schule hinschmeißen, um Schauspieler zu werden, dabei hat dieser Luftikus das Talent einer Straßenlaterne und kann höchstens die Leiche in einem Krimi spielen. Aber wer braucht schon falsche Leichen, wenn man in Städten wie Caracas oder Maracaibo nur durch Armenviertel fahren und Mordopfer einsammeln muss?
Ignacio: Was ist so schlimm daran? Wir hatten alle unsere Jugendträume und waren letztendlich vernünftig genug zu erkennen, wann man träumen, und wann man leben soll. Ihr Enkel ist jung, lassen Sie ihm den Glauben an die Utopie, bevor er nicht mehr dazu in der Lage ist.
Señorita Ruiz: Sie haben schon Recht. Er ist halt wie alle Jugendlichen heutzutage ein träumerischer Windbeutel, aber irgendwann wird er hoffentlich zur Vernunft kommen. Außerdem tut er als Schauspieler niemandem weh. Im Gegensatz zu meinem ältesten Enkel, der die ganze Zeit mit roten Hemden herumläuft und vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts faselt. Mein eigener Enkel ist einer von diesen Trotteln, die glauben, man könnte von Ideologien und Parteimanifesten leben, einer von diesen Simpeln, die anscheinend noch nie etwas von der Sowjetunion gehört haben. Alles eine Bagage von faulen Schmarotzern.
Ignacio: Sicherlich schießt man über das Ziel hinaus und etwas mehr Realismus könnte der PSUV gut tun, aber was ist so schlimm daran, wenn jeder krankenversichert ist und notfalls durch den Staat unterstützt wird. Meiner Meinung nach sollte niemand aufgrund seiner Herkunft leiden müssen.
Señorita Ruiz: Sind Sie auch eines dieser Kommunistenschweine, die am liebsten ihre eigene Mutter verstaatlichen würden, um sie dann dem proletarischen Pöbel zu schenken? Wer nicht mehr arm sein möchte, soll einfach arbeiten. Früher haben wir zwar unsere eigenen Diktatoren gewählt, die sich dafür aber aus dem täglichen Leben herausgehalten und den Fleißigen ihr Geld gelassen haben, doch heutzutage stopfen die Politikerschweiner der Schmarotzerbagage alle mögliche in den Rachen und verraten unser Land wegen einer schwachsinnigen Ideologie.
Ignacio: Wenn ich mich recht erinnere, haben diese Diktatoren die kritische Stimme des Volkes durch Gewehrschüsse übertönt, unser Öl für ein ohne großen Nutzen an die USA verkauft und unser Land für eine Handvoll Dollar verraten. Aber ich verstehe nicht viel von Politik, daher bin ich auch kein Politiker, sondern verkaufe Elektronikartikel und ich bin mir sicher, dass Sie gekommen sind, um ein paar davon zu kaufen. Also wie kann ich Ihnen helfen?
Señorita Ruiz: Ich brauche Batterien.
Ignacio: Welche Größe?
Señorita Ruiz: Alle.
Ignacio: Wie bitte?
Señorita Ruiz: Alle.
Ignacio: Welche Größe?
Señorita Ruiz: Alle Batterien in allen Größen und einen Dieselgenerator.
Ignacio: Alle Batterien?
Señorita Ruiz: und einen Dieselgenerator.
Ignacio: einen Dieselgenerator noch dazu? So etwas habe ich gar nicht im Sortiment.
Señorita Ruiz: Dann nur alle Batterien in allen Größen. Die werden Sie ja noch da haben. Hinter Ihnen sehe ich sogar ein paar Batterien.
Ignacio: Natürlich habe ich Batterien, aber ich müsste im Lager nachschauen, wie viele es genau sind. Aber was in Herrgotts Namen machen Sie mit so vielen Batterien?
Señorita Ruiz: Haben Sie heute noch nicht die Zeitung gelesen?
Ignacio: Ich war heute am Morgen so gut gelaunt und das wollte ich mir nicht durch Zeitunglesen verderben.
Señorita Ruiz: Die Experten sagen, dass der Ausbruch nur eine Frage der Zeit ist.
Ignacio: Für mich ist die ganze Vulkan-Sache nur Panikmache. Ich habe drei Semester Elektrotechnik in Caracas studiert und sage Ihnen, bevor etwas explodiert, gibt es deutliche Anzeichen. Daher warte ich bis der Berg glühende Lava spukt und lasse mich dann vom Militär retten.
Señorita Ruiz: Sie können Ihr Leben gerne der Regierung anvertrauen, die es nicht einmal schafft, eine stabile Stromversorgung zu garantieren, aber ich treffe Vorbereitungen, um nicht von einer Bande Rothemden abzuhängen.
Ignacio: Also alle Batterien, die ich habe?
Señorita Ruiz: Genau, und dieses Kabel.
Ignacio: Das ist ein USB-Kabel. Ich glaube nicht, dass es beim Überleben wirklich von Nutzen ist. Es sei denn, Sie erwürgen damit einen Leguan.
Señorita Ruiz: Wirklich? Ich dachte, es sei ein stromsparendes Kabel. Darüber liest man immer wieder in der Zeitung. Haben Sie denn eines dieser stromsparenden Kabel im Sortiment?
Ignacio: Señorita Ruiz, wenn ich Ihnen einen Rat geben darf; sparen Sie sich das Geld und machen Sie solange Urlaub im Ausland, bis die Sache vorbei ist. Das ist billiger als alle Batterien aufzukaufen.
Señorita Ruiz: Meinen Sie wirklich?

(Pfarrer auf)

Ignacio: Guten Morgen, Herr Pfarrer.
Pfarrer: Grüß Gott, Señor Mundí. Señorita Ruiz.
Señorita Ruiz: Morgen, Herr Pfarrer. Sie haben doch einen Draht nach oben? Was hat es mit dem kommen Vulkanausbruch auf sich? Sicherlich ist es die Strafe Gottes für die liederlichen Sozialisten, die unser Land in den Dreck reiten. Ich sage Ihnen, ich habe gewusst, dass das passieren wird, aber es kann nicht sein, dass rechtsschaffende Leute wie wir deshalb leiden müssen. Wo ist die Gnade Gottes in diesem Fall?
Pfarrer: Ich bin nur ein einfacher Priester. Gott hat mir nicht die Gabe geschenkt, seine Wege zu verstehen, aber in seiner unendlichen Güte gab er mir meinen Glauben und das Vertrauten, dass er nur das Beste für uns will.
Señorita Ruiz: Was war auch anderes zu erwarten, als dass Sie inhaltsleeren Blödsinn von sich geben. Wenn Sie Gott nicht kritisieren möchten, ist das in Ordnung, aber sagen Sie dem Herrn, dass er mich noch einige Jahrzehnte leben lassen soll, wenn er keinen Ärger im Himmel haben will. Señor Mundí, danke für Ihre Hilfe, ich werde mich im Reisebüro informieren.

(Señorita Ruiz ab)

Ignacio: Sie ist wirklich ein Unikum.
Pfarrer: Da haben Sie Recht. Wie lange ist ihr Mann schon tot?
Ignacio: Schon seit über fünfundzwanzig Jahren.
Pfarrer: Hat er sich aus dem Fenster geworfen?
Ignacio: Ich weiß, dass dieser Gedanken zwar nahe liegt, aber nein, es war ein Herzinfarkt, wenn ich richtig informiert bin. Falls es Sie tröstet, Herr Pfarrer, ich hätte mich schon längst aus dem Fenster gestürzt, wenn ich Señorita Ruiz geheiratet hätte.
Pfarrer: Aber genug davon, denn es steht mir nicht zu, zu richten. Das ist die Aufgabe unseres Herren. Außerdem bin ich ja aus anderen Gründen gekommen.
Ignacio: Also, was kann ich für Sie tun?
Pfarrer: Ich brauche Glühbirnen.
Ignacio: Wie viele?
Pfarrer: Alle.
Ignacio: Alle?
Pfarrer: Ich hoffe, das ist kein Problem.
Ignacio: Nein, es ist kein Problem. Aber warum ihn aller Welt wollen Sie alle Glühbirnen kaufen, die ich im Laden habe?
Pfarrer: Haben Sie heute noch nicht die Zeitung gelesen?
Ignacio: Nein, aber ich nehme an, dass es um den Vulkanausbruch geht.
Pfarrer: Woher wissen Sie das?
Ignacio: Ich hatte so ein Gefühl.
Pfarrer: Beeindruckend, wirklich beeindruckend. Dann wissen Sie auch, dass es bald ernst werden soll. Daher auch die Glühbirnen.
Ignacio: Möchten Sie auch Batterien?
Pfarrer: Nein danke. Was mache ich denn mit Batterien?
Ignacio: Das war nur so eine Idee. Aber was mich interessiert, ist Gott in Krisenzeiten etwa nicht mehr hell genug?
Pfarrer (lacht): Ein netter Scherz, aber natürlich ist Gott mehr als bloß eine riesige Glühbirne. Der Theosoph Pseudo-Dionysius Areopagita sprach in diesem Zusammenhang von der göttlichen Dunkelheit, weil Gottes Glanz zu stark für unsere Augen ist.
Ignacio: Ich weiß nicht, Herr Pfarrer, ob meine irdischen Glühbirnen, auch wenn Sie alle kaufen, ausreichen, um die göttliche Dunkelheit zu vertreiben.
Pfarrer: Es reicht, wenn Ihre irdischen Glühbirnen die irdische Dunkelheit vertreiben. Für alles andere, habe ich meinen Glauben.
Ignacio: Ich weiß nicht einmal, ob die das schaffen, wenn aufgrund des Vulkanausbruchs kein Strom mehr aus der Steckdose kommt.
Pfarrer: Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen, die Unfähigkeit der Regierung für die Stabilität des Stromnetzes zu sorgen, hat dazu geführt, dass es im Pfarrhaus einen Dieselgenerator gibt.
Ignacio: Das heißt, Sie wollen ihm Falle eine Ausbruch nicht die Stadt verlassen?
Pfarrer: In der Not brauchen die Menschen Gott am meisten.
Ignacio: Dann passen Sie auf sich auf.
Pfarrer: Gott passt auf mich auf. Das ist alles, was ich brauche. Trotzdem würde ich mich sehr über die Glühbirnen freuen.
Ignacio: Verzeihung, das ist mir entglitten. Die Glühbirnen sind dort hinten.

Dritte Szene

(Straße vor Ignacios Haus. Diogenes sitzt am Straßenrand und isst Schokoladenpudding. Er trägt einen blauen Barockmantel, ein rotes Hawaiihemd und eine braune Leinenhose. Frau 1, Frau 2 und Frau 3 betreten etwas abseits die Bühne.)

Frau 3: Ich muss mit dem Trinken aufhören. Normalerweise ist ja immer spaßig, aber gestern habe ich eine Linie überschritten. Um meinen morgendlichen Kater zu vertreiben, habe ich mir einen Wodka-Redbull gemacht und als der nicht geholfen hat, noch einen zweiten und vielleicht auch noch einen dritten. Das weiß ich nicht mehr genau. Auf jeden Fall verträgt sich der Wodka anscheinend nicht mit den scheiß Pillen, die ich gegen die Übelkeit nehme und das nächste woran ich mich erinnern kann ist, dass ich in der Badewanne von einem Freund aufgewacht bin.
Frau 1: Ich weiß nicht, ob es liebevoll oder gruselig ist, dass er dich gewaschen hat. Ist er heiß?
Frau 3: Wenn er mich wenigstens gewaschen hätte, aber nein. Anscheinend bin ich mitten am Tag betrunken und im Pyjama aus dem Haus getorkelt, ins nächstbeste Taxi eingestiegen und zu einem Zigarrenladen gefahren, wo ich dann darauf bestanden habe, Napoleon sprechen zu müssen und daraufhin besagten Freund anrief, um ihn über die stattfindende Alieninvasion zu informieren. Er hat mich dann abgeholt und in die Badewanne gelegt, damit ich nicht alles versaue, wenn ich kotzen muss. Ich sage euch, das war zu viel. Ich habe einfach eine Line überschritten, die man am besten nicht überschreitet. Kein Alkohol mehr.
Frau 1: Das glaubst du doch selbst nicht. Spätestens am Wochenende bist du wieder betrunken
Frau 2: Es wäre nicht schlecht, wenn du mit dem Trinken aufhören würdest. Gestern Nacht kam mein Mann blau wie ein Schlumpf nachhause und begann einfach ins Katzenklo zu pinkeln. Als ich ihn darauf angesprochen habe, schrie er mich und erklärte, ich solle ihn in Ruhe pinkeln lassen.Glaub mir, du tust der Welt einen Gefallen, wenn du aufhörst so zu tun, als wärst du ein Rumfass.
Frau 3: Ich bin nicht Gandhi. Es reicht, wenn ich mir selbst damit einen Gefallen tue, oder im Pyjama in irgendwelchen Zigarrenläden Alienverschwörungen aufdecke. Ist das dort hinten nicht der verrückte Diogenes?
Frau 1: Wer sonst? Ein Spinner in der Stadt reicht.
Frau 2: Hey Diogenes, ich habe gehört die Müllabfuhr hat dich mitgenommen und dann aufs Feld geschmissen, als sie gemerkt haben, dass du noch lebst.
Diogenes: Kommt nur herbei, ihr schöne Frauen.

(Frau 1, Frau 2 und Frau 3 gehen zu Diogenes. Diogenes bewirft sie mit Pudding)

Diogenes: Wollt ihr mich verarschen? Ich sagte schöne Frauen, keine Vogelscheuchen. Seht euch an. Eure Finger sind verunstaltet durch künstliche Fingernägel, das Gesicht erstickt unter der Schminke und der Weingeist eurer Parfums sticht in meiner Nase. Ihr seid nicht mehr als billige Puppen, angemalte Vogelscheuchen,Karikaturen der Schönheit, so natürlich wie ein Plastiksackerl, aber bei weitem nicht so hübsch.
Frau 2: Was ist dein Problem, du Hurensohn? Schau dich an, du isst mit deinen Händen, wie ein Hund.
Diogenes: Seid ihr nicht viel mehr die Hunde, weil ihr um mich herumsteht und mir zuseht, während ich esse?
Frau 1: Nein, Klugscheißer. Du bist der Hund, weil du auf den Rasen anderer Leute scheißt und es dir nicht einmal peinlich ist. Das ist so widerlich, selbst ein Müllmann würde von deinem Anblick schlecht werden.
Diogenes: Ich schäme mich nicht für die Scheiße, die aus meinem Arsch kommt, denn es liegt in der Natur des Menschen aus dem Arsch zu scheißen, aber bei euch kommt die Scheiße auch aus dem Mund und das ist abnormal.
Frau 2: Dein Vater war wohl ein Hofnarr, weil du nämlich so ein Witz bist.
Diogenes: Im Gegensatz zu deiner Mutter hat es meine Mutter mir leicht gemacht zu sagen, wer mein Vater ist.
Frau 2: Du solltest mal wieder aufs Klo gehen, denn die Scheiße steht dir bis ins Hirn, du nämlich ein Klugscheißer. Und wenn du so ein Klugscheißer bist, kannst du mir sicherlich sagen, was dein Vater so schlimmes getan hat, um seinen Versager wie dich zu bekommen.
Diogenes: Es sei nur so viel gesagt: Meine Mutter ist die Natur und mein Vater der Verstand. Zu ihrer Ehr scheiß ich aus dem Arsch und zu seiner red ich mit dem Mund. Ihr aber kennt anscheinend eure Eltern nicht, denn ihr wollt nicht mit dem Arsch scheißen und scheißt daher mit dem Mund.
Frau 3: Es kann noch so viel Scheiße aus mir raus kommen, ich kann immer noch aufs Klo gehen, denn ich habe ein eigenes Haus. Doch du hast nichts, nicht einmal einen Karton , in dem du dich verkriechen kannst. Wenn du so schlau wärest, wie du tust, würdest du auch etwas besitzen.
Diogenes: Sieh dich um, die ganze Welt ist mein Zuhause, denn ich bin ein freier Mann.
Frau 2: Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe.
Frau 1: Genau. Nur weil du obdachlos bist, heißt das noch lange nicht, dass dir die Welt gehört. Im Gegenteil, du bist ein abgebrannter Penner, der sich nicht einmal vernünftige Kleidung leisten, während wir in unseren weichen Betten aufwachen, in unseren Küchen essen und vor unseren Fernsehern sitzen können.

(Ignacio auf)

Diogenes: Macht euch nur zum Sklaven eurer Lüste; ärgert euch darüber nur Brot zu essen, anstatt sich über den vollen Magen zu freuen; starrt in eure Fernseher, anstatt in den Garten zu blicken, doch diese Kultur, auf die die Menschheit so stolz ist, ist nur Lug und Trug. Wenn der Vulkan ausbricht, werdet ihr auch nicht Zigarren rauchend im Liegestuhl sitzen und zur Musik Mozarts auf den Tod warten.
Frau 1: Das stimmt, denn wir können alle rechtzeitig flüchten, aber niemand wird sich um einen Verrückten scheren, der offiziell nicht einmal existiert. Wir werden sehen, ob du auch noch so stolz bist, wenn du um deine Rettung flehst.
Diogenes: Ihr flüchtet nicht aus Angst vor dem Tod, sondern aus Angst vor euren Begierden und Bequemlichkeiten, deren Knechte ihr seid. Wer mit stolzgeschwellter Brust aus dem Arsch scheißen kann, muss nicht flüchten, denn er ist ein freier Mann.
Ignacio: Ich bin mir sicher, dass du derartige Tätigkeiten mit stolzgeschwellter Brust auch an anderen Orten abwickeln kannst, ich werde nämlich darauf achten, dass du nicht zurückbleibst. Die Welt ist voller Leute, die mehr an ihrem Fernseher als an ihrem Leben hängen. Ein paar nette Worte und etwas Kleingeld und schon gehört deren Platz dir. Was wäre eine Welt ohne Diogenes?
Frau 2: Wenn Sie sich so um Ihren Freund sorgen, Señor Mundí, sollten Sie ihm vielleicht ein paar Manieren beibringen. Damit ist ihm mehr geholfen.
Frau 1: Am besten lassen Sie ihn einfach hier.
Frau 3: Du sagst es. (Zu Frau 2) Dein Mann hat einfach ins Schlafzimmer gepinkelt?
Frau 2: Unglaublich, ich weiß! Er macht immer eigenartige Sachen, wenn er nachhause kommt, aber im Normalfall ist es ihm peinlich. So wie damals, als er den Schwamm gegessen hat, weil er glaubte, es sei ein Stück Käse.

(Frau 1, Frau 2, Frau 3 ab)

Ignacio: Es wundert mich, dass dich noch niemand umgebracht hat.
Diogenes: Ich lebe, weil mich die Leute für verrückt halten und man Verrückte als Menschen zweiter Klasse sieht. Es ist wie mit Alten und Kindern. Sie werden nicht bestraft, nicht mit Verantwortung bedacht und wenn man sie wegsperrt, dann ist es auch nur zu ihrem Besten.
Ignacio: Genau deshalb halten dich manche für einen unlustigen Zeitgenossen.
Diogenes: Es ist mir egal, was diese Drecksschlampen über mich denken. Ich führe ein naturgemäßes Leben und richte mich nicht nach der Meinung irgendwelcher, verblendeter Idioten.
Ignacio: Mein Fehler, die meisten Leute mögen dich nicht, weil du sie regelmäßig beleidigst.
Diogenes: Wenn ich ohne Löffel meinen Pudding essen kann, so ist es das Leichteste der Welt für mich auf die Freundschaft dieser konsumgeilen Idioten, die lieber größere Fernseher als größere Hirne hätten, zu verzichten.
Ignacio: Diogenes, du kannst nicht einfach Leute beleidigen. So werden sie dich nie mögen.
Diogenes: Ich habe es dir schon oft genug gesagt: Diogenes ist ein freier Mann, er kann tun, was er will. Wenn ihre Ablehnung der Lohn für meine Genügsamkeit ist, so gibt es niemanden in der Geschichte der Menschheit, der jemals ein größeres Salär erhalten hat als ich. Nein, diese großartige Gratifikation wäre die Gleichgültigkeit dieser verblendeten Vollfposten, aber ihre Verachtung ist immerhin besser als eine Faust im Arsch.
Ignacio: Das klingt nicht sehr angenehm, weder für die Faust, noch den, in dem sie drinnen steckt.
Diogenes: Das ist Leben. Entweder nimmst du dich zusammen, lebst ein naturgemäßes Leben und wirst glücklich oder du hast die Faust der Zivilisation im Arsch. Weißt du, Ignacio, Menschen haben es perfektioniert sich selbst zu knechten. Entweder werden sie zum Knecht ihrer Lüste oder sie werden zum Knecht ihres Geist und glauben, dass scheißen, pissen, wichsen ihrer nicht mehr würdig wäre. Und du, mein Freund, bist geknechtet durch den Drachen, der in deinem Haus lebt.
Ignacio: Würdest du jemanden lieben, würdest du anders denken.
Diogenes: Wozu brauche ich Liebe, wenn ich mir einfach einen runterholen kann?
Ignacio: Siehst du, das habe ich gemeint. Ich brauche kein großes Haus, keinen teuren Fernseher, keine elegante Kleidung, um glücklich zu sein, aber ohne Paz könnte ich nicht leben, ohne Liebe wäre mein Leben sinnlos.
Diogenes: Schein so, als hättest du Liebe im Arsch und das ist fast so schlimm wie ein Haufen Spulwürmer.
Ignacio: Möchtest du wirklich nicht mitkommen, wenn die Stadt evakuiert werden müsste?
Diogenes: In der Natur bin ich freier als in der Stadt. Weshalb sollte ich mitkommen?
Ignacio: Der Vulkan wird sowieso nicht ausbrechen. Du kennst diese Fachidioten; die machen sich wichtig, auch wenn es keinen Grund dazu gibt. Der Vulkan raucht nicht, also wird er auch nicht ausbrechen, Holz brennt ja auch nicht ohne Rauch.
Diogenes: Dafür kenne ich etwas anderes, das ausbrechen wird.
Ignacio: Wie meinst du das?
Diogenes: Du bist spät dran.
Ignacio: Stimmt, aber Paz nimmt das nicht so genau. Immerhin habe ich ja gearbeitet.
Diogenes: Du bist so blind, dir muss die Liebe wirklich aus dem Arsch kommen.

(Ignacio ab)

Vierte Szene

(Wohnzimmer. Ignacio auf)

Paz: Wo warst du? Warst du wieder bei deinen französischen Mädchen? Hattest du Spaß? Habt ihr über mich gespottet, während ihr Champagner getrunken und Nonchalance gegessen habt oder hast du einfach nur deinen Kopf an ihre Brust gelegt und ihnen gesagt, wie du sie liebst, genauso wie du es bei mir macht?
Ignacio: Ich glaube, du weißt nicht genau, was Nonchalance bedeutet.
Paz: Unterbrich mich nicht, wenn ich rede.
Ignacio: Tut mir leid, ich dachte, dass du-
Paz: Ta, ta, ta, ta, ta, ta, ta. Ich rede jetzt. Du bist nicht bei deinen französischen Mädchen, die dir deine Lügen glauben, die in deine liebevollen Augen schauen und nicht wissen, dass du das Herz einer jetzt alten Frau geraubt und zerbrochen hast.
Ignacio: Hast du getrunken?
Paz: Natürlich habe ich getrunken, denn der Alkohol ist das Einzige, das meinen Kummer tröstet. Du bist ja nicht zuhause, sondern arbeitest in deinem kleinen Elektronikgeschäft und wenn du fertig bist, stiehlst du dich zu deinen französischen Flittchen, trinkst Chianti und fütterst diese Schlampen mit leckeren Horsd’œuvre.
Ignacio: Meine Liebste, es gibt keine französischen Mädchen. Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Es gibt nur dich, dich und unsere Tochter.
Paz: Du lügst mir ins Gesicht. Warum bist du so grausam? Du stehst hier vor mir und sagst, dass du keine Fräuleins kennst und das nachdem diese Froschschenkelfresserinnen erst vor kurzem gefickt hast. Und jetzt zwingst du mich auch noch, diese grausame Wahrheit mit meinen Lippen zu formen. Du hast mir meine Jugend genommen, meine Träume geraubt und jetzt willst du auch noch meinen Stolz.
Ignacio: Paz, das was du sagst, ergibt keinen Sinn. Ich kenne wirklich keine französischen Mädchen. Ich kenne nicht einmal französische Kerle. Woher auch? Die einzigen Europäer, die zu uns kommen, sind Hippies, die glauben, nur weil Venezuela kein OECD Mitglied ist, könne man hier Drogen ganz legal konsumieren. Auch habe ich deine Jugend nicht gestohlen, niemand hat deine Jugend gestohlen, denn du bist schon wie am Tag als ich dich kennenlernte. Die einzige Diebin bist du, denn du hast mein Herz gestohlen.
Paz: Spar dir das Süßholzgerasple, ich falle nicht mehr darauf rein. Wenn du so unschuldig bist, wie du tust, kannst du mir sicherlich sagen, warum du heute später gekommen bist.
Ignacio: Im Laden war viel los, die Leute machen sich Sorgen wegen des Vulkans.
Paz: Der Vulkan also?
Ignacio: Nicht direkt der Vulkan.
Paz: Also doch nicht der Vulkan.
Ignacio: Irgendwie schon. Hast du heute die Zeitung gelesen?
Paz: Nein, habe ich nicht. Du kaufst ja keine Zeitung, weil die Politik deine gute Laune ruiniere. Hast du etwa eine Anzeige aufgegeben, um ein Alibi zu vorweisen zu können? Das wäre ziemlich bescheuert, denn dann. Ich hab vergessen, was ich sagen wollte, aber ich weiß, dass es etwas mit den froschschenkelfressenden Flittchen zu tun hatte. Ich reiße ihnen den Kopf ab, wenn ich sie sehe. Das war es, glaube ich, nicht.
Ignacio: Auf jeden Fall stand heute in der Zeitung, dass der Vulkan bald ausbrechen soll, weshalb die Leute meinen Laden gestürmt und alles Mögliche gekauft haben. Der Pfarrer hat sich sogar alle Glühbirnen unter den Nagel gerissen; ist wohl nicht sehr überzeugt von Gotte Segen.
Paz: Der Vulkan soll bald ausbrechen und deshalb war viel los im Laden.
Ignacio: So ist es.
Paz: Die Leute bereiten sich auf den Ausbruch vor und kaufen deshalb viel ein.
Ignacio: Genau.
Paz: Und was sind deine Vorbereitungen?
Ignacio: Wie bitte?
Paz: Bist du so dumm oder tust du nur so? Was sind deine Vorbereitungen? Hast du – keine Ahnung – das gemacht, was man machen muss, wenn man sich vorbereitet? Du weißt schon, was ich meine. Schafe und Tiger kaufen und so. Halt was man macht, wenn man Vorbereitungen trifft.
Ignacio: Warum sollte ich einen Tiger kaufen?
Paz: Ein Tiger in der Mühle-
Ignacio: Ja. Was ist mit diesem Tiger?
Paz: Ich hab es vergessen. Nein, warte. Andersrum ist es richtig. Eine Mühle im Tiger frisst den Arzt des Apfels. Eine Mühle im Tiger, wer denkt sich so einen Schwachsinn aus. Ich meine, es ist eine Mühle im Tiger.
Ignacio: Du bist betrunken. Du solltest dich hinlegen und den Rausch ausschlafen.
Paz: Das würde dir so passen, wenn du mich so einfach zum Schweigen bringen könntest. Hast du also Vorbereitungen getroffen?
Ignacio: Nein, habe ich nicht. Wozu auch, wenn die Stadt im Ernstfall evakuiert wird.
Paz: Du vertraust mein Leben also irgendwelchen Idioten an und glaubst, dass das funktionieren wird. Glaubst du, unsere Armee wird uns retten? Das Einzige, das dieser Sauhaufen kann, ist ehrlich gewählte Regierungen stürzen und mit kommunistischen Rebellen kooperieren. Solange der Vulkan nicht in die Nationalversammlung einzieht und vorhat die Befugnisse des Militärs zu beschneiden, hat er von unserer Armee nichts zu befürchten und Regierung von kommunistischen Kasperl, wird so reagieren wie immer, nämlich nichts tun und dem kapitalistischen System die Schuld geben.
Ignacio: Du machst dir zu viele Sorgen. Das Militär wird kommen und uns mitnehmen. Das sollten sie schon schaffen.
Paz: Und was ist mit unserer Tochter? Denkst du gar nicht an sie? Ist sie dir vollkommen egal?
Ignacio: Pamina studiert in Wien. Das ist tausende Kilometer weit weg. Ihre größte Sorge wird sein, dass uns etwas zustoßen könnte.
Paz: Es sind Ferien. Sie also nicht in Wien, sondern macht mit ein paar Freundinnen Urlaub in Zell am See.
Ignacio: Das liegt auch noch in Österreich und damit immer noch tausende Kilometer entfernt von hier. Was erwartest du von mir? Soll ich nach Österreich reisen und unsere Tochter hier her in die Gefahrenzone bringen oder soll ich vielleicht in einer Stadt, die ich nicht kenne, irgendwelche Maßnahmen treffen, für einen Vulkanausbruch, der tausende Kilometer entfernt stattfindet.
Paz: Aber unser kleines Baby
Ignacio: Ist erwachsen. Wir haben sie gut erzogen, sie wird das schon schaffen.
Paz: Aber der Vulkan-
Ignacio: Die ganze Zeit wird über diesen Vulkan gesprochen. Die Leute stürmen meinen Laden, Diogenes will hier bleiben und nun machst du mir Vorwürfe. Lasst mich einfach in Ruhe mit diesem scheiß Vulkan. Das Ding wird sowieso nicht ausbrechen, nur weil sich ein paar Vulkanologen wichtigmachen, trotzdem bricht Panik aus. Das ist so, als würde man die Zeugen Jehovas ernst nehmen, wenn sie vom Weltuntergang reden. Warum können die Leute nicht einfach normal weiterleben. Der Vulkan ist nun einmal da, ob wir das wollen oder nicht. Nun müssen wir uns damit arrangieren und das tun wir am besten, indem wir so leben wie bisher. Ich habe keine Angst vor dem Vulkan, sondern würdige ihn keines Blickes.
Paz: Glaubst du das wirklich? Sprichst du die Wahrheit?
Ignacio: Ja, meine Liebste, das tue ich. Das tue ich von ganzem Herzen. Du weißt, ich würde das Unmögliche schaffen, wenn ich dich oder Pamina retten müsste, aber diesmal wird wohl das Militär reichen.
Paz: Aber Pamina, unsere süße, kleine Paminita. Sie ist doch noch ein Kind.
Ignacio: Sie ist 20 Jahre alt.
Paz: Für mich wird sie immer fünf Jahre alt sein und mit ihrem Stoffhasen durch die Gegend laufen.
Ignacio: Sie wollte ihn nie hergeben.
Paz: Jetzt hat sie ihn sogar mit nach Wien genommen. Ich vermisse meine Paminita, Ignacio. Sie fehlt mir.
Ignacio: Sie fehlt mir auch meine Liebste, aber sie wollte nun einmal nach Europa.
Paz: Du hast leicht reden. Du hast dein kleines Geschäft, um das du dich kümmern musst, aber mein Lebensinhalt ist entschwunden. Meine kleine Paminita fehlt mir so sehr. Es kommt mir so vor, als hätte ich sie erst gestern zum ersten Mal im Arm gehalten.
Ignacio: Ich weiß, es ist ein schwacher Trost, aber morgen in der Früh kannst du sie anrufen, aber jetzt schläft sie vermutlich schon und wir wollen sie ja nicht stören. Immerhin soll sie sich in den Ferien erholen.
Paz: Ich weiß noch, als ich das erste Mal angerufen habe. Ganz verschlafen hat sie abgehoben, denn bei ihr war es schon fast nach Mitternacht und sie hat sich furchtbar darüber aufgeregt, dass ich ihr den Schlafraube, sobald sie wach genug wahr, um zu begreifen, wer anruft, aber ich war einfach nur glücklich ihre Stimme zu hören. Was würde ich dafür geben, sie jetzt in meinen Händen halten zu können.

(Paz beginnt zu weinen)

Ignacio: Beruhige dich, ihr geht es sicherlich gut. Sie ist eine Frohnatur. Du wirst sehen, wenn sie morgen abhebt, wird sie wieder von den österreichischen Mehlspeisen schwärmen, als gäbe es keine wichtigeren Dinge auf dieser Welt.
Paz: Ich bin furchtbar. Pamina fehlt mir und du musst darunter leiden. Jeder andere hätte mich schon längst in den Wind geschossen. Aber du sitzt einfach nur da und ertränkst deinen Kummer in Alkohol.
Ignacio: Das leere Weinglas ist deines, deshalb bist du auch betrunken.
Paz: Stimmt. Manchmal bin ich wirklich vergesslich. Danke, dass du bei mir bleibst, auch wenn ich manchmal etwas anstrengend bin.
Ignacio: Es liebt dich einfach niemand so wie ich, meine Liebste.

Zweiter Akt

Erste Szene

(Friseursalon. Figaro eilt nervös durch den Raum. Er dreht das Radio auf. Die Ouvertüre der Oper „La nozze di Figaro“ ist zu hören. Figaro eilt weiter und dreht die Musik nach kurzer Zeit wieder ab)

Figaro: Nein, das hilft nicht. Die Musik macht alles nur noch schlimmer. Wer soll sich bei diesem Lärm beruhigen? (Summt die Melodie) Na toll! Jetzt habe ich die Melodie im Kopf. Was für eine Katastrophe! Ich brauche Lösungen, keine Noten. Soll ich den Plünderern etwas vorsingen, wenn sie mich niederknüppeln? Sehr hilfreich! Bei meiner Stimme schlage noch umso fester zu.

(Figaro hetzt durch den Salon, zeigt auf die Zeitung)

Figaro: Du bist schuld daran. Warum lese ich überhaupt Zeitung? Hätte ich die Finger von diesem vermaledeiten Stück Papier gelassen, würde das Unglück einen Seligen treffen.

(Ignacio auf)

Ignacio: Morgen, Figaro.
Figaro: Was ist passiert?
Ignacio: Wovon sprichst du?
Figaro: Irgendetwas ist passiert, sonst wärst zu nicht hier. Was ist also passiert. Ich weiß zwar nicht, was es ist, aber ich habe es schon immer geahnt. Dieses Land ist zu gefährlich. Irgendwas ist passiert. Du bist da.
Ignacio: Ja, ich bin da und zwar in deinem Friseurgeschäft.
Figaro: Herrgott nochmal, ich weiß, dass du da bist. Aber warum? Das Warum will mir nicht in den Schädel? Hast du kein Schutzgeld gezahlt und die Banditen haben daraufhin deinen Laden angezündet? Nein, sonst wärst du nicht so glücklich. Warte, du hast in der Lotterie gewonnen. Du hast das große Los gezogen? Nein, das kann nicht sein. Für dich ist das Unsinn. Du siehst in Glückspiel keinen Sinn. Ich hab’s. Jetzt habe ich es. Ach Figaro, manchmal hast du wirklich ein Brett vorm Kopf. Es geht um den Vulkan. Natürlich geht es um den Vulkan. Seit Wochen geht es um nichts anderes: Er bricht aus. Stimmt’s? Aber warum in aller Welt hast du dann gelächelt? Wahnsinn. Ist das vielleicht-
Ignacio: Figaro, komm runter. Entspann dich. Es ist nichts passiert. Ich stehe hier – in deinem Friseursalon – um – und warte, jetzt kommt es – mir die Haare schneiden zu lassen.
Figaro: Aber dein letzter Haarschnitt ist erst drei Wochen her.
Ignacio: Nun gut, ich war nicht ganz ehrlich. Ich brauche auch noch eine Rasur. Das wollte zuhause nicht so recht klappen.
Figaro: Was?
Ignacio: Ich brauche eine Rasur
Figaro: Eine Rasur?
Ignacio: Genau, eine Rasur und zwar von dir.
Figaro: Von mir?
Ignacio: Selbstverständlich, denn du bist Barbier.
Figaro: Ich? Ein Barbier?
Ignacio: Bei Gott Figaro, was ist in dich gefahren?
Figaro: Wie stellst du dir das vor? Du kommst einfach in meinen Laden und willst eine Rasur.
Ignacio: Und einen Haarschnitt.
Figaro: Aber woher soll ich das wissen?
Ignacio: Das hier ist dein Friseursalon.
Figaro: Hast du in der letzten Zeit Zeitung gelesen?
Ignacio: Nein, aber anscheinend hat es jeder andere getan.
Figaro: Du seliger; du blinder, naiver Glückspilz. Ich sehe die Welt mit anderen Augen, weil ich Zeitung lese. Was durch sie aufgedeckt wurde, lässt sich nur schwer aus dem Kopf verbannen. Erdrutsch in den Anden, Bandenschießerei in Caracas, korrupte Stadtverwaltung in Cumana. Soviel Gewalt, soviel Leid und nun hat sich auch noch die Natur gegen uns gewandt. Schon die Kriminalität war ein Problem, dann kamen die verdammten Sozialisten und nun haben wir auch den Vulkan. Dabei ist der Vulkan der einzig wahre Sozialist im Land, denn er wird uns alle töten, egal ob arm oder reich, Mann oder Frau. In dieser Welt, in der so viel Leid passieren kann, kommst du eine Woche früher als sonst in meinen Friseursalon und erwartest wirklich, dass ich von Beginn an so naiv bin und wirklich glaube, dass du nur einen Haarschnitt willst.
Ignacio: Figaro, Figaro. Ich verstehe es noch, dass du dich nicht mit Frauen triffst, weil du Angst vor ihnen hast, denn manchen Frauen können wirklich furchterregend sein. Auch die Sorge, dass dir ein Papagei das Auge aushackt, ist verzeihlich, aber du darfst keine Angst vor der Welt haben. Diese Angst knechtet.
Figaro: Keine Angst, Keine Angst. Pah! Wenn ich keine Angst vor der Welt haben soll, dann soll die Welt gefälligst nicht so furchterregend sein. Polsterlawinen statt Erdrutsche, Bandenknuddeleien statt Bandenschießereien, Clementia statt Korruption.
Ignacio: Weißt du was, Figaro? Eine harmlose Rasur wird dir helfen die bedrohliche Welt hinter dir zu lassen. Wenn du den Schaum aufgeschlagen hast, werden deine Sorgen wie vergessen sein. Ich setze mich schon mal in den Sessel, damit du dich ganz auf die Arbeit konzentrieren und so die Welt vergessen kannst.

(Ignacio setzt sich und Figaro bereitet die Rasierutensilien vor)

Figaro (spöttisch): Figaro, entspann dich. Figaro, beruhige dich. Figaro, lass dich nicht durch deine Angst knechten. Er hat gut reden. Er liest ja keine Zeitung. Bei seiner Blindheit wäre ich auch entspannt. Wenn er das wüsste, was ich weiß, hätte er sich schon zuhause verkrochen. Jawohl Figaro, du bist kein Feigling, sondern Draufgänger, ein wahrer Hasardeur, weil du nach wie vor das Haus verlässt. Jawohl Figaro, du bist der Haare schneidende James Bond des Proletariats.

(Figaro trägt den Schaum auf und beginnt mit der Rasur. Soldat 1 auf. Figaro erstarrt)

Ignacio: Au, du hast mich geschnitten. Dafür hätte ich nicht hierher kommen müssen. Das habe ich auch schon zuhause geschafft.
Figaro: Soldat
Ignacio: Was?
Figaro: Soldat.
Ignacio: Was für ein Soldat?
Figaro: Du weißt schon, ein Soldat halt eben. Uniform, grimmiger Gesichtsausdruck. So ein Soldat ist hier.
Ignacio: Ein Soldat, der sich vermutlich die Haare schneiden lassen will.
Figaro: Ich sage das nur ungern, aber er hat keine Haare. Ich könnte höchstens seine Glatze polieren.
Ignacio: Bei aller Freundschaft, du musst dir Hilfe holen, Figaro: Es kann nicht sein, dass du wegen jeder Kleinigkeit in Panik gerätst. Dann hat der Soldat einfach keine Haare. Polier seine Glatze, wichse seine Schuhe. Was weiß ich? Aber er ist sicherlich nicht wegen des Vulkans hier.
Soldat 1: Da muss ich Ihnen widersprechen. Ich habe den Auftrag, Sie über die bevorstehende Evakuierung zu informieren.
Ignacio, Figaro: Evakuierung?
Soldat 1: Korrekt. Der Anstieg der vulkanischen Aktivität veranlasste den Krisenstab zur präventiven Evakuierung des Umlands. Es –
Ignacio: Es gibt einen Krisenstab?
Soldat 1: Korrekt.
Figaro: Ha! Siehst du? Ich hatte Recht. Irgendetwas ist mit dem Vulkan passiert.
Ignacio: Was bringt dir das? Warum in aller Welt freust gerade du dich darüber? Was ist los mit dir? Was bist du für ein Idiot, dass du dich über einen Vulkanausbruch freust?
Figaro: Ich bin von der Angst befreit. Ich bin frei. Verstehst du, Ignacio? Keine Angst mehr, frei.
Soldat 1: Bitte beruhigen Sie sich. Es besteht kein Grund zur Sorge. Die notwendigen Gerätschaften sind bereitgestellt. Alles ist vorbereitet.
Figaro: Was mache ich jetzt?
Soldat 1: Sie finden sich einfach am Busbahnhof ein. Dort stehen die Fahrzeuge bereit. Bewahren Sie Ruhe.
Figaro: Ich muss weg. Ich muss verschwinden. Der Vulkan könnte jeden Moment ausbrechen. Der Vulkan will mich tot sehen. Ich bin hier nicht mehr sicher. Wo bin ich denn sicher? Die Angst ist wieder da. Keine Angst vor dem Vulkan, sondern Angst vor dem Tod. Brich nicht in Panik aus, Figaro. Keine Panik. Alles wird gut. Alles wird schon werden. Es ist nur ein Vulkan. Es ist ein Vulkan. Alles wird unter Lava begraben werden. Ich werde unter Lava begraben werden. Panik, Figaro. Es ist Zeit für Panik. Ich muss mich in Sicherheit bringen.

(Figaro will gehen)

Soldat: Bitte, bewahren Sie Ruhe
Figaro: Dafür ist jetzt keine Zeit.
Ignacio: Was ist mit meiner Rasur?
Figaro: Was ist mit meinem Leben?
Ignacio: Warum nicht beides?
Figaro: Vulkan, deshalb.
Ignacio: Mach dich nicht lächerlich. Es ist nur eine Rasur.
Figaro: Es wird mein Tod sein. Leben und Bart oder Tod und Rasur. Ich weiß nicht, wo deine Prioritäten liegen, aber ich hänge eindeutig am Leben. Wenn ich die rasiere, dann ist es eine Rasur für Gott und der scheint wiederum Bärte zu präferieren.
Soldat 1: Bitte, bewahren Sie Ruhe.
Figaro: Nein, ich bewahre meine Fluchtmöglichkeiten. Ignacio, wir sehen uns in der Sicherheit.

(Figaro ab)

Soldat 1: Das ist heute schon der dritte, der in Panik ausbricht.
Ignacio: Wie viele Leute haben Sie denn schon informiert.
Soldat 1: Lassen wir das lieber.
Ignacio: Sie können nicht zufälligerweise mit einem Rasiermesser umgehen?
Soldat 1: Nicht, ohne Sie dabei zu töten. Aber ich habe sowieso den Eindruck, dass Sie nicht wirklich an Ihrem Leben hängen, denn Ihnen scheint der Vulkan ziemlich egal zu sein.
Ignacio: Sie kennen diese Vulkanspinner. Die machen sich wichtig.
Soldat 1: Nein, es ist wirklich ernst. Der Ausbruch steht unmittelbar bevor. Am besten gehen Sie nachhause, packen das Nötigste zusammen und begeben sich dann umgehenden zum Busbahnhof, bevor alle Busse abgefahren sind. Panik ist zwar kontraproduktiv, aber die Gefahr zu unterschätzen, wäre in diesem Fall tödlich.

(Soldat 1 ab)

Ignacio: Es ist also so weit. Paz, wartet sicherlich schon voller Panik auf mich. Ich muss nachhause.

(Ignacio wischt sich eilig den Schaum vom Gesicht. Ignacio ab)

Zweite Szene

(Straße vor Ignacios Haus. Diogenes und Soldat 2 diskutieren)

Soldat 2: Ich weise Sie darauf hin, dass ich angewiesen bin, die Evakuierung der Stadt durchzuführen.
Diogenes: Ich will aber hierbleiben und interessiere mich einen Scheißdreck für Ihre bescheuerten Anweisungen. Im Gegensatz zu den verblendeten Weicheiern, die sich in die Hose scheißen, weil sie vielleicht die Folge ihrer Lieblingsseifenoper verpassen könnten, habe ich kein Problem damit, wenn die zivilisatorische Scheiße vor die Hunde geht.
Soldat 2: Es ist mein Befehl, Sie zu evakuieren!
Diogenes: Aber ich brauche meine Innereien. Ich hänge an so sehr an ihnen, wie man anderer an seinem Computer.
Soldat 2: Was?
Diogenes: Sie wollten mich evakuieren.
Soldat 2: Genau, es ist mein Befehl, Sie zu evakuieren.
Diogenes: Und wenn man Ihnen befiehlt sich vor den Zug zu schmeißen – wenn es in diesem Land ein funktionierendes Bahnnetz gäbe – würden Sie das auch tun?
Soldat 2: Das ist-
Diogenes: Verzeihung, mein Fehler. Wenn Sie denken könnten, wären Sie ja nicht beim Militär.
Soldat 2: Zivilisten sind Idioten, daher ist ihre Kritik belanglos. Sie tragen nicht einmal eine Uniform. Wenn Sie sich dem Befehl widersetzen, muss ich notfalls Gewalt anwenden.
Diogenes: Sie wollen mich notfalls also totprügeln, um mein Leben zu retten. Nicht der Vulkan, sondern die Logik ist Ihr größter Feind.
Soldat 2: Letzte Warnung. Es ist mein Befehl, Sie zu evakuieren.
Diogenes: Und ich warne Sie. Ich pisse auf Ihr Gesicht. Kein Befehl, sondern nur der Wille eines freien Mannes.
Soldat 2: Ich weise Sie darauf hin, dass Sie dann alleine zurück bleiben würden.
Diogenes: Umso besser, kann ich mich endlich dieser lästigen Kleider entledigen und ungestört und nackt durch die Straßen gehen. Keiner dieser Knechte, die den Stock der falschen Moral im Arsch haben, wird sich echauffieren, wenn ich pisse, scheiße, wichse, wie es sich für den gesunden Menschen gehört. Evakuieren Sie die Stadt und machen Sie den Ort zum Paradies für den freien Mann.

(Frau 3 auf)

Frau 3: Hilfe! Hilfe! Zu Hilfe! Es ist ein Unglück. Es ist eine Katastrophe.
Soldat 2: Beruhigen Sie sich. Was ist passiert?
Frau 3: Haben Sie es noch nicht gehört? Der Vulkan wird ausbrechen. Wir werden alle unter glühender Lava begraben und dabei ist meine Haut so hitzeempfindlich.
Soldat 2: Haben Sie getrunken?
Diogenes: Natürlich hat die Schlampe getrunken. Die Angst vor der Not führt zum Exzess. Die einzige Familie, die sie verlieren könnte, sind ihre Rumflaschen und deren Inhalt, daher die rettende Vereinigung, physisch und metaphysisch, damit sie nichts verliert. Die Menschen haben Angst alles zu verlieren und besitzen daher in Wahrheit gar nichts.
Frau 3: Auf den Schock habe ich halt einen Schluck getrunken. Das ist doch normal und nichts Verwerfliches, aber der da gefällt sich in der Rolle des lustfeindlichen Flachwichsers.
Diogenes: Wenn du so gerne säufst, kann ich dir problemlos in den Mund pissen.
Frau 3: Der Gedanke daran macht dich geil, oder Perversling?
Soldat 2: Bitte beruhigen Sie sich, damit ich Sie evakuieren kann.
Frau 3: Endlich! Ausgezeichnet, wunderbar, perfekt. Evakuieren Sie mich bitte. Evakuieren sie mich oder bringen Sie mich wenigstens zum Busbahnhof.
Diogenes: Genau, evakuieren Sie die Hohlbirne und zwar jetzt und sofort, am besten durch einen Schlag auf den Kopf. Im Notfall tut es auch der Busbahnhof. Hauptsache ich bin sie los.

(Ignacio auf)

Diogenes: Ignacio, was machst du denn hier?
Soldat 2: Ich weise Sie darauf hin, dass es mein Befehl ist, Sie zu evakuieren. Bitte lassen Sie sich evakuieren.
Ignacio: Ich will nur schnell in mein Haus, um zu schauen, ob es meiner Frau gut geht und dann machen wir uns sofort auf den Weg zum Busbahnhof.
Soldat 2: Aber evakuieren Sie sich, sobald Sie sich über das Befinden Ihrer Frau informiert haben.
Ignacio: Evakuierung, Busbahnhof. Ist notiert und wird alles gemacht, aber jetzt muss in mein Haus. Ich muss zu meiner Frau.
Diogenes: Ignacio, warte!
Ignacio: Später, ich muss jetzt ins Haus.
Frau 3: Die beiden evakuieren sich schon selbst, aber ich muss gerettet werden. Sind Sie mein Retter? Bewahren Sie mich vor der Lava? Sind Sie mein Gunnery Sergeant Hartmann, mein Ritter der Kokosnuss, mein Höschenkämpfer?
Soldat 2: Mein Auftrag ist es, Sie zu evakuieren. Daher ist es meine Pflicht Sie zu evakuieren.
Diogenes: Es geht um Paz.
Ignacio: Was ist mit Paz?
Frau 3: Dann evakuieren wir uns.
Soldat 2: Die Herrschaften evakuieren sich dann nachher selbst. Das ist ein Befehl.
Diogenes: Ficken Sie sich ins Knie, denn von der Schlampe bekommen Sie höchstens Syphilis. Das Einzige, das ich evakuieren werde, ist meine Prostata. Aber Sie können ruhig verschwinden und nehmen Sie das metriculäre Miststück gleich mit.
Frau 3: Ich evakuiere mich nur zu gerne von hier, aber du, Diogenes, findest dein Glück sicherlich, wenn die Stadt zum Trottelaquarium geworden ist.

(Soldat 2, Frau 3 ab)

Ignacio: Was ist mit Paz, Diogenes? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Was ist mit ihr?
Diogenes: Sie ist nicht da.
Ignacio: Was meinst du damit?
Diogenes: Was ist daran so schwer zu verstehen? Sie ist nicht hier, sprich da, sondern an einem anderen Ort, also dort.
Ignacio: Das ist nicht der Zeitpunkt für Scherze, Diogenes. Du kannst ja gerne im Trottelaquarium bleiben, aber ich persönlich hänge an meinem Leben und möchte von hier und zwar mit Paz.
Diogenes: Paz ist wirklich nicht mehr da, darum war ich auch so erstaunt, als du plötzlich aufgetaucht bist. Sie hat mit einer Reisetasche das Haus verlassen und ich dachte, ihr würdet euch am Busbahnhof treffen. Sie ist fort.
Ignacio: Das kann nicht sein. Du musst dich irren. Sie liebt mich. Sie würde mich nie zurücklassen. Was sollte sie außerdem Pamina erzählen.
Diogenes: Wenn du stirbst, kannst du nur schwer ihrer Version widersprechen und solltest du das Chaos doch überleben, würde sie irgendwelche Ausreden aus dem Hut zaubern und deine Ohren damit verstopfen. Die weibliche Rhetorik der moderne hätte die Sophisten vor Neid erblassen lassen.
Ignacio: Du bist sehr hilfreich.
Diogenes: Ich denke, wir beide sind uns darüber im Klaren, dass ich nie wirklich ein allgemeiner Sympathieträger war.
Ignacio: Du musst dich irren. Paz ist sicher im Haus. Sie ist im Haus.

(Ignacio ab)

Diogenes:Einen Clown würden die Menschen die haarsträubendsten Lügen abkaufen, denn er ist ja ein Clown und seine Aufgabe ist es, die Menschen zu unterhalten, aber dem Philosophen glaubt man keine einzige seiner unangenehmen Wahrheiten. So erfährt er die Tatsachen nur von der Realität und das kann ich mir nicht entgehen lassen.

(Diogenes ab)

Dritte Szene

(Wohnzimmer. Diogenes, Ignacio auf)

Ignacio: Meine Liebste, ich bin hier. Paz? Paz!
Diogenes: Da Paz nicht da ist, habe ich meine Schuhe angelassen.
Ignacio: Als hätte sich der freie Diogenes jemals die Schuhe ausgezogen, nur weil es ihm gesagt hat. Du bist ja am im Widerspruch frei.
Diogenes: Die Betonung lag auch nicht am Sachverhalt, sondern auf der Begründung.
Ignacio: Spar dir deine Sticheleien und hilf mir bei Suchen. Paz muss hier irgendwo sein. Paz? Meine Liebste, wo bist du?
Diogenes (zu sich): Was für eine Tragödie. Mein einziger Freund ist ein Idiot. Da hat ihn der Drache freiwillig verlassen und er trauert seiner Knechtschaft nach. Es ist mir ein Rätsel, warum die Menschen ihre Unterdrücker hochleben lassen. Das ist eine Perversion, aber mich nennen sie einen Sonderling.
Ignacio: Hoffentlich ist ihr nichts passiert. Du kennst sie ja, Diogenes. Sie reagiert oftmals sehr emotional.
Diogenes: So kann man Hysterie auch umschreiben.
Ignacio: Ein Geräusch. Es kam aus dem Badezimmer Das muss Paz sein. Siehst du? Ich hatte Recht. Ich muss ins Bad, nicht, dass ihr etwas passiert ist.

(Ignacio ab)

Diogenes: Vielleicht ist es auch Don Juan, der das Waschbecken belästigt, oder Faust, der bei seinen suizidalen Experimenten die Dusche gesprengt hat. Unwahrscheinlicher als Paz‘ Anwesenheit wäre das nicht. Aber er will es nicht wahrhaben. Amor hat ihm wohl die Augen ausgestochen und bei der Gelegenheit auch sein Hirn gefressen, so deppert wie er sich aufführt. Er benimmt sich ein trotteliger Hund, der gegen eine Glasscheibe läuft und zwar jeden Tag. Jetzt hat man ihm die Tür geöffnet, aber er läuft immer noch gegen die Scheibe. Paz ist weg und Ignacio sucht nach, anstatt das einzig Vernünftige zu tun, nämlich alles in die Wege zu leiten, um ihre Rückkehr zu verhindern. Er hat wirklich Liebe im Arsch und die Vernunft hat er auch schon evakuiert. Er will seine Herrin zurück. Er will wieder leiden. Die Menschheit, ein Haufen von Masochisten.

(Ignacio auf)

Ignacio: Sie war nicht im Bad, auch nicht im Schlafzimmer, aber sie muss hier irgendwo sein. Sie ist sicherlich krank vor Sorge.
Diogenes: Wunderbar, dann lass uns verschwinden.
Ignacio: Wo ist sie, Diogenes? Wo ist Paz? Sie muss hier sein. Sie ist hier irgendwo. Aber warum kann ich sie nicht finden?
Diogenes: Weil sie ohne dich geflohen ist. Sie hat ihre Koffer gepackt und alles mitgenommen, was ihr lieb und teuer ist und du gehörst anscheinend nicht dazu.
Ignacio: Nein, das kann nicht sein. Es muss etwas passiert sein. Irgendetwas ist vorgefallen.
Diogenes: Ja, es gab den Befehl die Stadt zu evakuieren, daraufhin ist Paz verschwunden, fortgegangen, abgedampft, hat sich marginalisiert, sich fortgestohlen, hat die Platte geputzt, einen Abgang gemacht, die Kurve gekratzt, ist abgezischt, losgezogen, verduftet, von dannen gegangen, hat sich
Ignacio: Die Botschaft ist angekommen.
Diogenes: Verzupft, absentiert, getrollt, verkrümmelt, verdünnisiert, vom Acker gemacht, sich verpisst-
Ignacio: Du könntest dich nützlich machen und mir beim Suchen helfen.
Diogenes: Einverstanden, ich suche in der Küche.
Ignacio: Danke.
Diogenes: Und zwar nach einer Flasche Wein.
Ignacio: Die wirst du nicht finden, suche liebe nach Paz.
Diogenes: Ich den Unterschied zwar nicht, aber dann nehme ich einfach Bier, wenn Wein und Paz nicht da sind.
Ignacio: Es sind nur ausländische Marken in der Küche.
Diogenes: Das beste Bier ist sowieso das, wofür ein anderer gezahlt hat.

(Diogenes ab, Ignacio hetzt durch das Wohnzimmer)

Ignacio: Sie ist nicht hier. Sie ist verschwunden. Sie ist ohne mich gegangen. Das ganze Haus habe ich abgesucht. Es ist leer, keine Seele wohnt in ihm. Keine Paz war zu entdecken, keine Nachricht zu finden. Bin ich vielleicht wirklich das einzige Relikt dieser Ehe?

(Diogenes auf)

Ignacio: Wohin ist sie gegangen?
Diogenes: Wer?
Ignacio: Wer wohl, Diogenes? Wohin ist Paz gegangen. Du hast gesagt, Paz wäre von hier fortgegangen. Wohin? Wohin ist sie gegangen?
Diogenes: Warum sollte ich es dir sagen? Du bist jetzt frei, Ignacio. Verstehst du? Du bist frei. Die Liebe hat dich auf ihren Klauen entlassen. Jetzt kannst du dich von deinen Lüsten und Ängsten emanzipieren. Es lebe die Freiheit.
Ignacio: Ich bin kein Philosoph, kein Asket, kein Visionär. Ich bin ein einfacher Mann, der sein Leben mit der Frau verbringen möchte, die er liebt. Dein Glück mag in der Freiheit liegen, aber meines liegt in den Armen dieser Frau.
Diogenes (nuschelt): Zum Busbahnhof.
Ignacio: Was hast du gesagt?
Diogenes: Zum Busbahnhof.
Ignacio: Danke. Ich muss sofort zum Busbahnhof laufen. Paz mag ohne mich das Haus verlassen haben, aber die Stadt wird sie mit mir verlassen.

(Ignacio eilt zur Tür, hält aber inne)

Ignacio: Du willst nicht mitkommen, oder?
Diogenes: Nein, es wäre eine Schande, wenn die Zivilisation ohne Diogenes, aber Diogenes nicht ohne die Zivilisation auskäme.
Ignacio: Du wirst den Vulkanausbruch vielleicht nicht überleben.
Diogenes: Wir sind alle Knechte, Ignacio: Die meisten sind Knechte ihrer Lüste, du bist der Knecht deiner Liebe und ich bin ein Knecht der Natur. Der Unterschied ist, dass die Natur die einzige wahre Herrin ist, weshalb der Mensch zu seinem Wohl ein naturgemäßes Leben führen soll und was ist natürlicher als der Tod.
Ignacio: Dann pass auf die auf, Diogenes. Ich hoffe, dass du es schaffst. Alles Gute.
Diogenes: Du wirst Paz schon finden, mein Freund.
Ignacio: Danke, mein Freund.

(Ignacio ab)

Diogenes: Ignacio wird Paz nie finden. Sie hat ihn verlassen. Sie hat ihn verraten. Ich denke es ist an der Zeit diesen Vorfall mit dem Schinken in der Küche zu bereden.

Vierte Szene

(Busbahnhof. Frau 1, Soldat 1 und Soldat 3 anwesend. Im Hintergrund ist ein einziger Bus zu sehen)

Frau 1: Kann ich nun endlich einsteigen oder wird darauf gewartet, dass die Lava uns persönlich zur Notunterkunft spült?
Soldat 1: Bitte beruhigen Sie sich. Sie können gleich einsteigen.
Frau 1: Ich will aber nicht gleich, sondern jetzt einsteigen.
Soldat 1: Das ist nicht möglich.
Frau 1: Warum geht es nicht? Der Bus ist da und ich bin da. Es braucht nicht einmal einen Fahrer. Ich bringe die verdammte Blechbüchse schon zum Laufen.
Soldat 1: Schaltgetriebe.
Frau 1: Hat mein Auto auch. Warum kann ich dann in den verfickten Bus? Die Formulare sind ausgefüllt, der Dringlichkeitsbeitrag gezahlt. Was denken Sie sich diesmal aus? Verhindern die USA die Abfahrt oder sind es diesmal sogar kleine Gnome, die dazu führen, dass ich auf diesem Platz verrecken werde.
Soldat 1: Ich; ich. Das-
Frau 1: Hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Sind Ihnen die Ausreden ausgegangen? Fällt Ihnen nichts mehr ein? Waren die Gnome Ihre letzte Erklärung, die Sie jetzt nicht mehr bringen können? Lassen Sie mich endlich in den verdammten Bus.
Soldat 1: Ich; äh; ich. Ich muss, äh.-
Frau 1: Ich, ich, ich. Ist Ihr Hirn durchgebrannt oder weshalb können Sie nicht mehr sprechen?
Soldat 3: Beruhigen Sie sich. Sie können gleich einstiegen. Wir haben die Situation unter Kontrolle. Es besteht kein Grund zur Panik.

(Frau 2 auf)

Frau 1: Panik? Ich bin nicht panisch, sondern koche vor Wut.
Frau 2: Anita, was machst du hier?
Frau 1: Desdemona?
Frau 2: Ja. Ich dachte, du wärst schon längst geflohen.
Frau 1: Hatte ich auch vor, aber die Vollpfosten wollen darauf warten, dass der Vulkan ausbricht, bevor sie etwas unternehmen.
Soldat 1: Das ist-
Frau 1: Klappe halten, ich rede gerade. Desdemona, wo ist dein Mann?
Frau 2: Den Versager bin ich los.
Frau 1: Nein, das kann nicht sein. Hat er dich etwa auch betrogen?
Frau 2: Nein, der hat sich vor Angst nur fast in die Hose geschissen und dann die grandiose Idee gehabt, seine Furcht in Rum zu ertränken. Plötzlich war der Vulkan eine Lächerlichkeit, vor der nur noch ein paar verweichlichte Pussys fliehen. Ein echter Mann wie er könne es aber jeder Zeit problemlos mit zehn dieser Vulkane aufnahmen. Nur weil ein paar Trottel in Panik ausbrechen, lässt er doch seinen Rum nicht zurück aber wenn ich glaube, weil eine bestimmte Zeit im Monat sei, könne ich den Teufel an die Wand malen, wisse ich ja, wo die Tür ist.
Frau 1: Das ist furchtbar.
Frau 2: Vor allem für ihn. Ich hab nämlich den ganzen Rum mitgenommen. Schauen wir einmal, ob in ein paar Stunden auch so männlich ist, wenn kotzend über dem Klo hängt.
Frau 1: Ist der Rum in der Tasche?
Frau 2: Genau.
Frau 1: Die muss verdammt schwer sein, aber die Rache macht jede Last erträglich.
Frau 2: Warte. Hast du mich gerade gefragt, ob mein Mann mich auch betrogen hat?
Frau 1: Ja, das habe ich.
Frau 2: Die Betonung liegt auf auch.
Frau 1: Ja, der Bastard hat mich betrogen. Es hat sich herausgestellt, dass er eine Geliebte hatte.
Frau 2: Er hat dir einfach das einfach so ins Gesicht gesagt? Er hat sich als gedacht, wenn der Vulkan sowieso ausbricht, kann er dir auch gleich sagen, dass er eine Geliebte hat?
Frau 1: Nicht direkt.
Frau 2: Dann hast du das Arschloch in flagranti erwischt.
Frau 1: Er hat mir einen Zettel am Küchentisch gelassen, auf dem steht, dass die Stadt evakuiert wird und er mich für seine Geliebte verlassen hat. Außerdem hat er die Katze mitgenommen und den Goldschmuck gestohlen, den er mir zur Hochzeit geschenkt hat.

(Frau 3 und Soldat 2 auf)

Frau 2: Was für ein Arschloch.
Frau 1: Hoffentlich beißt im die Schlampe den Schwanz ab, egal ob buchstäblich oder metaphorisch.
Frau 2: Salomé, du hier? Nein, das kann nicht sein.
Frau 3: Doch ich bin hier. Wir drei sind wieder vereint.
Frau 1: Und zwar im Tode wie es scheint. Die Flachwichser wollen uns nicht in den Bus einsteigen lassen.
Frau 3: Aber ich bin hier, um mich evakuieren zu lassen. Ich muss in den diesen Bus. (Zu Soldat 2). Du hast gesagt, du bist mein Ritter der Kokosnuss. Öffne die Tür für mich.
Soldat 2: Sofort! Öffnet die Tür.
Soldat 3: Die Tür wird nicht geöffnet. Das ist ein Befehl.
Soldat 2: Die Tür wird nicht geöffnet.
Frau 3: Warum können Sie die Tür nicht öffnen?
Soldat 2: Der Befehl lautet, dass die Tür verschlossen bleibt.
Frau 3: Und wenn ich Sie darum bitte die Tür zu öffnen? Was ist, wenn ich ganz brav und nett bitte sage?
Soldat 2: Dann bleibt die Tür verschlossen. Es tut mir leid, aber der Befehl lautet nun einmal die Tür nicht zu öffnen und Befehl ist Befehl.
Frau 1: Dass die anderen beiden kein Hirn haben, war mir schon klar, aber du hast weder Hirn noch Eider, Schlappschwanz.
Frau 3: Und ich dachte, Sie wären mein Höschenkämpfer.
Soldat 2: Was soll ich tun? Der Befehl lautet die Tür nicht zu öffnen.
Frau 2: Dann befehlen Sie einfach, dass die Tür zu öffnen ist.
Soldat 2: Das geht nicht. Er hat die Befehlsgewalt.
Soldat 1: Genau, er hat die Befehlsgewalt.
Soldat 3: So ist es, ich habe die Befehlsgewalt und ich befehle, dass die Tür geschlossen bleibt.
Frau 1: Dann sind Sie also der Kapazunder, der Vernunft nur aus anderer Leute Taten kennt.
Soldat 3: Das ist unerhört. Als würde ich mich dafür interessieren, was irgendwelche dahergelaufene Zivilisten machen.
Frau 1: Wie konnte ich auch nur annehmen, dass der Umfang Ihres Verstandes annähernd so groß wäre wie der Umfang Ihres Bauchs?
Frau 2: Hör auf damit, Anita. Du reizt ihn noch.
Frau 1: Was will er tun? Uns nicht den Bus lassen? Warte, dass macht er jetzt schon.
Frau 2: Sie hat es nicht so gemeint. Das ist alles sicherlich ein großes Missverständnis. Wir wollen weg von hier. Wir haben Angst.
Frau 3: Ich bin mir sicher, ein echter Mann wie unser Soldat hier wird einer dankbaren Frau keine Bitte abschlagen. Er wird uns aus unserer Not retten, nicht wahr?
Soldat 3:Nun ja, also
Frau 1: Spar die die Mühe, Salomé. Der fette Schimpanse kriegt nicht einmal einen hoch, wenn er einen Kran hätte und sein Leben davon abhinge. Deshalb glaubt er das kompensieren zu müssen, indem er uns den Zutritt verwehrt.
Soldat 3: Humbug. Das ist alles Humbug. Ich sage, niemand steigt in den Bus ein. Das ist ein Befehl!
Frau 1: Warum können wir dann nicht in den verfickten Bus einstiegen?
Frau 3: Als echter Mann wird er einer Frau in Nöten keine Bitte abschlagen.
Frau 2: Bitte, seien Sie vernünftig und lassen Sie uns einsteigen.
Soldat 3 (seufzt): Nun; vielleicht. Nein, es darf niemand in den Bus einsteigen!
Frau 1: Vermutlich ist das Scheißding sowieso kaputt.
Soldat 3: Das lässt sich so nicht sagen.
Frau 2: Der Bus kann also nicht losfahren? Wir sind verdammt. Wir sind verloren. Es ist vorbei, schnöde Welt, und dabei wollte ich noch einmal Rom sehen. Rom sehen und sterben.
Soldat 3: Bitte bewahren Sie Ruhe. Sie werden evakuiert werden.
Frau 1: Warum können wir dann nicht in den verfickten Bus?
Soldat 3: Also-
Frau 3: Wenn Sie uns nicht die Rettung schenken wollen, so geben Sie uns wenigstens die Wahrheit.
Soldat 3: Also gut, wenn es seien muss, aber geraten Sie nicht in Panik. Es besteht kein Grund zur Panik. Wir haben alles unter Kontrolle; außer den Bus, der will nicht, wie wir wollen.
Frau 2: Ach, ich hab’s geahnt. Es ist vorbei. Die Taschen voller Rum, aber keine Hoffnung im Herzen.
Frau 3: Besser als andersrum.
Frau 1: Was funktioniert denn nicht?
Soldat 3: Keine Ahnung.
Frau 1: Sie wissen es nicht?
Soldat 3: Woher auch? Ich bin Soldat und kein Mechaniker.
Frau 3: Dann holen Sie den Mechaniker.
Soldat 3: Ich nehme keine Befehle von Zivilisten entgegen, aber ich habe schon um einen Techniker angesucht.
Frau 2: Wann wird er da sein?
Soldat 3: Es dürfte sich nur noch um Stunden handeln.
Frau 2: Stunden?
Frau 1: Warum ist unter Ihnen kein Mechaniker?
Soldat 3: Wir sind hier um Leute zu evakuieren, keine Autos.
Frau 1: Sie transpirieren so viel Dummheit, dass ich meinen Kopf Buswand schlagen möchte. Wie kann man bloß so blöd sein? Sie haben sicherlich auch auf dem Klo eine Notiz, auf der steht, dass Sie den Arsch nicht mit der Hand abwischen dürfen.
Soldat 3: Bitte bewahren Sie Ruhe.

(Pfarrer auf)

Frau 1, Frau 2, Frau 3: Nein, Nein, das kann nicht sein.
Pfarrer: Was ist denn hier los?
Soldat 3: Die Zivilistinnen sind ganz aufgeschreckt und wollen sich nicht beruhigen lassen. Bitte, bringen Sie sie zur Räson.
Pfarrer: Plötzlich bin ich den Sozialisten wieder gut genug, aber Gott liebt alle seine Schafe und will zumindest versuchen, es ihm gleichzutun.
Frau 1: Glauben Sie diesen bescheuerten Hohlbirnen kein Wort. Die schämen sich nur dafür, dass sie zu dämlich sind paar Leute in Sicherheit zu bringen.
Pfarrer: Wie bitte?
Frau 1: Der – nehmen Sie mir diesen Ausdruck nicht übel, Herr Pfarrer – verfickte Bus will nicht funktionieren.
Pfarrer: Wo bleibt den Ihre Hoffnung? Ich bin mir sicher, dass noch weitere Buse bereitstehen und in Kürze da sein werden. Soldat 3: Ich vermelde, dass dieser Bus der Rest des uns zugeteilten Kontingents ist.
Frau 1: Alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen, denn beim Militär sagt man ja, Vaterland und Sozialismus oder Tod und nicht Vaterland und funktionierende Infrastruktur oder Tod. Dieser kleine, aber feine Unterschied wird uns noch das Leben kosten. Ich werde zur Märtyrerin eine Ideologie, an die ich nicht glaube.
Frau 2: Wir werden alle sterben. Der Vulkan wir uns alle töten.
Pfarrer: Meine Liebe, ich bitte Sie, verlieren Sie nicht die Hoffnung. Gerade in der Krise müssen Sie auf Gott vertrauen. Er wird Ihnen den rechten Weg weisen. Er wird Sie in seiner unendlichen Güte und Vergebung retten.
Frau 3: Das ist der größte Bullshit, den ich jemals gehört habe. Wo ist Gott jetzt? Wo ist seine unendliche Güte, wenn ich sie am meisten brauche? Genau, sie ist nicht vorhanden. Er ist nicht da. Es ist leicht über Gottes Größe, wenn man mit dem Glücklichen spricht, denn man kann so tun, als ließe sich sein Glück auf Gott zurückführen, aber beim Leidenden ist das nicht mehr möglich. Ich rufe Gott. Ich rufe ihn, aber wo bleibt er? Der Allmächtige kann sich nicht aus unserer Gedankenwelt befreien.
Pfarrer: Diese Worte sind gefährlich, denn sie wirken klug, obwohl sie töricht sind. Gott steht außerhalb unserer Begrifflichkeit. Wir können ihn nur erfahren, aber nicht verstehen, daher sind seine Wege für uns manchmal uneinsichtig, aber trotzdem dürfen wir nicht den Glauben verlieren.
Soldat 3: Das stimmt. Man zweifelt nicht am Comandante, unbedeutend ob irdisch oder himmlisch.
Frau 1: Ich habe diese leeren Phrasen satt. Ich will keine Erlösung. Ich will einen funktionierenden Bus.
Frau 2: Es bleibt keine Hoffnung mehr. Der Vulkan wird uns unter seiner Lava begraben. Wir werden alle qualvoll bei lebendigem Leibe verbrennen. Warum war ich so dumm und habe versucht meinen Mann zur Flucht zu überreden? Warum passiert das mir und nicht Aljaksandr Lukaschenka? Warum muss ich sterben und nicht Kim Jong Un. Ich will nicht, dass-

(Ignacio auf. Er eilt zu Soldat 3 und beendet die Klage von Frau 2, indem er sie zur Seite stößt)

Ignacio: Paz? Paz, bist du hier? Paz! Sie muss hier irgendwo sein. Sie wäre nicht ohne mich gefahren. (Zu Soldat 3). Sie müssen mir helfen.
Soldat 3: Erstens muss ich gar nichts, denn ich nehme keine Befehle von einem Zivilisten entgegen und zweitens habe ich keine Ahnung, was Sie von mir wollen. Beruhigen Sie sich und danach erklären Sie mir alles.
Ignacio: Ich suche meine Ehefrau. Sie heißt Paz. Mundí. Also Paz ist ihr Vorname und Mundí der Nachnahme, nicht dass Sie glauben, sie würde Pazmundí heißen.
Soldat 3: Bitte bewahren Sie Ruhe
Ignacio: Verzeihung, aber ich bin verzweifelt. Meine Ehefrau hätte eigentlich zuhause sein sollen. Dort war sie aber nicht und eine Nachricht habe ich auch nicht gefunden. Dann hat mir Diogenes erzählt sie wäre zum Busbahnhof gegangen und ich bin sofort los und jetzt bin ich hier und ich sehe sie immer noch nicht. Ich weiß nicht, was ich tun soll .Sie müssen mir helfen Ich muss Paz finden. Ich will sie nicht verlieren.
Soldat 3 (zeigt aus Soldat 1): Verstanden. Gehen Sie zu José. Er hat die Liste mit den Evakuierten.
Ignacio: Danke, vielen Dank.
Frau 3 (für sich): Und eine weitere Liebe, die weniger Wert war als der Tod.
Ignacio: José, Sie –
Soldat 1: Ich heiße nicht José
Ignacio: Aber mir wurde gesagt, dass Sie-
Soldat 1: Er nennt uns alle José. Er kann sich keine Namen merken.
Ignacio: Aber Sie haben doch hoffentlich die Liste? Sie müssen schauen, ob meine Frau Paz Mundí schon die Stadt verlassen hat, ob sie hier war oder ähnliches. Ich muss wissen, was mit ihr geschehen ist, wo sie ist, wo sie seien könnte.

(Soldat 1 blättert in einer Mappe)

Soldat 1: Vor etwas mehr als einer Stunde hat sie die Stadt verlassen.
Ignacio: Das kann nicht sein. Da muss ein Irrtum vorliegen.
Soldat 1: Es tut mir leid, aber es ist kein Irrtum. Sie hat ihren Ausweis vorgelegt. Ihr panischer Freund, der Friseur, hat übrigens auch die Stadt verlassen.
Ignacio: Wenigstens ist meine Paz in Sicherheit. (Ignacio tritt vor bis zum Bühnenrand). Ach ich fühl’s, es ist verschwunden, ewig hin der Liebe Glück. Niemals kommen Wonnestunden in mein Herz zurück. Sieh meine Liebste, die Tränen fließen, Paz für dich allein. Fühlst du nicht das Sehnen meiner Liebe? Mein Herz zerspringt vor Qual. Meine Gedanken strömen über. Die Wirklichkeit ist mir fremd geworden. Es ist als würde mir jemand die Worte in den Mund legen. (Er geht zurück zu den anderen). Da meine Hoffnung ins Nichts gefahren ist, sollte ich es ihr gleichtun und in den Bus steigen. Die Sicherheit hat keinen Wert mehr für mich, aber wenigstens entfliehe ich dem Leid.
Soldat 3: Es tut mir leid, aber Sie können nicht in den Bus steigen.
Ignacio: Meine Frau hat mich verlassen und nun versetzt mich auch ein Bus.
Frau 1: Er versetzt nicht nur Sie, Señor Mundí; er versetzt uns alle, denn das verfickte Ding will nicht funktionieren.
Soldat 3: Das können Sie den Leuten nicht so einfach ins Gesicht sagen. Das sind Zivilisten. Die können damit nicht umgehen.
Frau 3: Und Soldaten können nicht mit einem Bus umgehen.
Ignacio: Und ich konnte anscheinend nicht mit meiner Frau umgehen.
Pfarrer: Señor Mundí, hegen Sie keinen Gram gegen menschliche Fehler, denn es ist menschlich Fehler zu machen. Dieser Pfad führt ins Unglück. Gott aber zeigte uns, dass die Erfüllung im Verzeihen liegt.
Ignacio: Herr Pfarrer, ich bin nicht Gott, sondern nur ein Menschen, lassen Sich mich meine Fehler machen, denn es ist anscheinend das Einzige, das ich kann.
Pfarrer: Kommen Sie zur Vernunft, Señor Mundí. Sie dürfen die Hoffnung nicht verlieren. Gott gab Ihnen einen Lebenssinn, schmeißen Sie ihn nicht weg.
Ignacio: Pamina. Ich muss mit Pamina sprechen.

(Ignacio eilt zur Telephonzelle und wählt eine Nummer)

Frau 3: Wo bleibt der Mechaniker?
Soldat 3: Es ist unterwegs.
Frau 2: Hoffentlich hat er keine Panne.
Frau 1: Er ist Mechaniker, wenn er damit nicht fertig wird, ist er nicht zu gebrauchen.
Ignacio: Pamina? Pamina! Ich muss-. Nein, hör mir zu. Bitte, nicht-. Zu spät, sie hat aufgelegt. Dabei wollte ich nur sagen, dass ich sie liebe.

(Persephone auf)

Persephone (singt weiter, während die anderen sprechen):
Dies irae dies illa,
Solvet saeclum in favilla:
Teste David cum Sibylla.

Quantus tremor est futurus,
Quando iudex est venturus,
Cuncta stricte discussurus!

Tuba mirum spargens sonum
Per sepulcra regionum
Coget omnes ante thronum.

Mors stupebit et natura,
Cum resurget creatura,
Iudicanti responsura.

Liber scriptus proferetur,
In quo totum continetur,
Unde mundus iudicetur.

Iudex ergo cum sedebit,
Quidquid latet apparebit:
Nil inultum remanebit.
Soldat 3 (Nachdem Persephone die erste Strophe gesungen hat): Nein, die Tür bleibt geschlossen. Das ist ein Befehl!
Soldat 2: Ich glaube nicht, dass die Zivilistin in den Bus will.
Frau 2: Braucht Sie vielleicht Hilfe?
Soldat 1: Woher soll ich das wissen? Ich spreche kein Niederländisch.
Pfarrer: Dieser Worte Klang berührt mein Herz. Er öffnet mir die Augen. Ich spüre, wie der Sinn mich erfüllt. Es ist vorbei. Es ist gerichtet. Es ist vernichtet.
Persephone, Pfarrer (singen, während die anderen reden):
Quid sum miser tunc dicturus?
Quem patronum rogaturus,
Cum vix iustus sit securus?

Rex tremendae maiestatis,
Qui salvandos salvas gratis:
Salva me, fons pietatis.

Recordare Iesu pie,
Quod sum causa tuae viae:
Ne me perdas illa die.
Soldat 3: Er hat Recht. Das ist der Rhythmus, bei dem man mit muss. Soldaten, wir singen mit.
Persephone, Pfarrer, Soldat 3:
Quaerens me, sedisti lassus:
Redemisti crucem passus:
Tantus labor non sit cassus
Persephone, Pfarrer, alle Soldaten (singen, während die anderen sprechen):

Iuste iudex ultionis,
Donum fac remissionis,
Ante diem rationis.

Ingemisco, tamquam reus:
Culpa rubet vultus meus:
Supplicanti parce Deus.

Qui Mariam absolvisti,
Et latronem exaudisti,
Mihi quoque spem dedisti.
Frau 1: Was hat das zu bedeuten?
Frau 3: Jemand hat den Kopf des Propheten geküsst.
Frau 2:Nein. Versteht ihr die Worte nicht? Es ist die Erlösung. Es ist die Befreiung.
Persephone, Pfarrer, Frau 2, alle Soldaten (singen, während die anderen sprechen):
Preces meae non sunt dignae:
Sed tu bonus fac benigne,
Ne perenni cremer igne.
Frau 3: Warum hast du mich nicht angesehen, Jochanaan!
Alle außer Frau 1 und Ignacio (singen, während die anderen sprechen): Inter oves locum praesta,
Et ab haedis me sequestra,
Statuens in parte dextra.
Frau 1: Ma qual mai s’offre, oh Dei, spettacolo funesto agli occhi miei!
Alle außer Ignacio (singen, während Ignacio spricht):

Confutatis maledictis,
Flammis acribus addictis,
Voca me cum benedictis.

Oro supplex et acclinis,
Cor contritum quasi cinis:
Gere curam mei finis.

Lacrimosa dies illa,
Qua resurget ex favilla
Iudicandus homo reus:
Huic ergo parce Deus.
Ignacio: Alle verlieren ihren Verstand, nur ich verliere meine Frau. Die Welt ist wahrlich ungerecht. Was nutzt es mir denken zu können, wenn meine Gedanken nur um mein Unglück kreisen.

(Persephone tritt aus der Reihe der Singenden und stellt sich neben Ignacio. Die anderen unterbrechen ihren Gesang nicht und beginnen wieder mit der ersten Strophe)

Alle außer Ignacio und Persephone:
Dies irae dies illa
Solvet saeclum in favilla:
Teste David cum Sibylla.


Quantus tremor est futurus,
Quando iudex est venturus,
Cuncta stricte discussurus!

Tuba mirum spargens sonum
Per sepulcra regionum
Coget omnes ante thronum.
Alle außer Ignacio und Persophene (singen, während die anderen sprechen):
Mors stupebit et natura,
Cum resurget creatura,
Iudicanti responsura.

Liber scriptus proferetur,
In quo totum continetur,
Unde mundus iudicetur.

Iudex ergo cum sedebit,
Quidquid latet apparebit:
Nil inultum remanebit.

Quid sum miser tunc dicturus?
Quem patronum rogaturus,
Cum vix iustus sit securus?

Rex tremendae maiestatis,
Qui salvandos salvas gratis:
Salva me, fons pietatis.

Recordare Iesu pie,
Quod sum causa tuae viae:
Ne me perdas illa die.

Quaerens me, sedisti lassus:
Redemisti crucem passus:
Tantus labor non sit cassus.
Persephone: Es ist vorbei. Die Welt ist Geschichte. Das Zeitalter des Chaos‘ bricht an. Reiche mir deine Hand, damit ich dich von den Qualen dieser Welt befreie.
Ignacio: Die Welt mag mit mir fertig sein, aber ich noch nicht mit ihr.

(Ignacio ab)

Persephone: Gefallen, gefallen ist Babylon die Große, die alle Völker betrunken gemacht hat mit dem Zornwein ihrer Hurerei.

(Der Gesang wird lauter und verstummt erst, wenn der Vorhang gefallen ist)

Dritter Akt

Erste Szene

(Palmengesäumter Strand. Zwei gepolsterte Rattansessel, die unter einem Schirm stehen, dessen Stiel von einem Tisch eingefasst ist. Am Rande der Bühne steht eine kleine Hütte und im Hintergrund ist ein roter Alfa Romeo 156 Baujahr 2004 zu sehen. Die Ouvertüre aus Mozarts Don Juan ist zu hören. Pandora auf, eilt zur Stereoanlage und stellte die Musik nach kurzer Zeit ab)

Pandora: Nein, nein, nein! Das ist die falsche Musik. Man gart kein Roastbeef zu D-Mollklängen. Oh Pandora, welch blasphemische Worte kamen über deine Lippen? Mozarts „Don Giovanni“ die falsche Musik? Dieses Meisterwerk ist nie falsche Musik. Es ist immer die richtige Musik, wenngleich manchmal für den falschen Augenblick und dieser Augenblick ist ein falscher Augenblick. Die Zubereitung von Roastbeef korreliert nicht mit der Erhabenheit von Mozarts Musik.

(Pandora entschwindet ihn die Hütte und kehrt sofort mit einer Zigarre und einem Zigarrenschneider zurück. Sie setzt sich in den Rattansessel, und zündet die Zigarre an. Dann schaltet sie die Stereoanlage ein. Musik aus der Oper Carmen ist zu hören)

Pandora: So lässt es sich leben. So ließe es sich eigentlich auch sterben. Die Meeresluft in der Nase; die göttliche Musik im Ohr; der köstliche Tabak am Gaumen. Es schmeichelt den Sinnen und fordert sich doch gleichzeitig, fordert Aufmerksamkeit. Wie süß ist diese Vereinnahmung, die mich frohlocken lässt, die mir eine erquickende Trägheit schenkt. Das Schöne ist für die Sinne, was die Philosophie für den Geist, nämlich Erfüllung. Diese Musik trägt mich. Sie belebt mich. Es lebe die Kunst; die Kunst im Allgemeinen und die Kunst in ihren Spezialitäten. Es lebe die Kunst des Philosophierens. Es lebe die Kunst des Musicierens. Es lebe die Kunst des Destillierens. Vivat, möchte ich schreien. Vivat! Vivat! Vivat! Doch wozu? Die Kunst lebt ewig. Sie ist tot. Wie genieße ich die Ewigkeit des Augenblicks, in der ich in der Schönheit versinke und den Musen gleich in das göttliche Reich der Erfüllung blicke. In den Zeiten, in denen mir diese Zuflucht verwehrt wird, bleibt mir nur der Genuss, aber mein Verdruss soll es nicht sein. Ein komplexer Whisky hier; ein zartes Steak da. Das soll mich nicht als Grund zur Klage reichen. Keine Ziele, keine Zwänge, keine Knechtschaft. Als freier Mensch sitze ich hier, befreit vom werdenden Weltwillen. Die Fesseln der Ethik, die Ketten der Pflicht habe ich abgelegt und das schillernde Gewand des Ästheten angezogen. Nie war Weltflucht süßer. Nie war Eskapismus edler. Nie war Passivität energischer. Ich liebe dich, Schönheit. Ich liebe dich abgöttisch. Oh, was ist das? Mein Magen meldet sich zu Wort und meine Nase verkündet das Evangelium des fertigen Roastbeefs. Vollenden wir die Tat und erretten wir das Opfer auf der Hölle.

(Pandora ab)

Zweite Szene

(Szene wir vorhin. Pandora sitzt im Sessel und isst einen Mohr im Hemd.)

Pandora: Köstlich, vorzüglich, exquisit. Es lässt sich nicht leugnen. Paris hat die Mode, Rom die Frauen und Wien, Wien hat die Mehlspeisen. Apfelstrudel, Sachertorte, Buchteln mit Vanillesauce, Palatschinken mit Marillenmarmelade, Kaiserschmarren mit Zwetschkenröster, Gugelhupf, Mohnnudeln, Topfenknödel und Mohr im Hemd. Kein Besuch in der Wiener Staatsoper wäre für mich jemals komplett, wenn er nicht durch einen Mohr im Hemd im Café Central eingeleitet wird und sein Ende durch die Frankfurter vom Bitzinger findet. Ah siaße Zoat, i vermiss di a bissl.

(Ignacio auf)

Ignacio: Ich will nicht stören, aber können Sie mir vielleicht sagen, wo ich bin? Ich habe nämlich keine Ahnung und muss aber dringend weg von hier. Dazu müsste ich aber wissen, wo genau hier ist.
Pandora: Die Einsamkeit scheint mir aufs Gemüt zu schlagen. Nun imaginiere ich schon Stimmen. Ist es Wahnsinn oder ist es mir gelungen Gemeinschaft durch Phantasie zu substituieren? Die Frage ist aber vielmehr, worin sich die beiden Optionen überhaupt unterscheiden.
Ignacio (für sich): Sie spricht mit sich selbst. Die Ärmste wird hoffentlich keinen Hitzschlag erlitten haben. (Laut). Geht es Ihnen gut? Ist alles in Ordnung? Brauchen Sie vielleicht Hilfe?
Pandora: Also das Imaginieren von Stimmen muss ich noch üben, denn diese ist ganz und gar langweilig. Nicht ein einziger Witz ist ihr über die wohl nicht vorhandenen Lippen gekommen. Ist vielleicht gar das Imaginierte Realität und meine Realität nur Imagination? (Dreht sich um und erblickt Ignacio). Tatsächlich, dort hinten steht ein Mann, falls ich ihn nicht auch imaginiere, denn wenn meine Phantasie schon Stimmen erschaffen kann, ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Geburt ganze Menschen. Gleich sitze ich bestimmt im Petersdom. (winkt Ignacio) Salve!
Ignacio: Sind Sie verrückt?
Pandora: Nein, ich bin Philosophin. Sie wiederum scheinen gänzlich der Realität entsprungen zu sein und zwar der allgemeinen und nicht nur der meinigen. Sicherlich kitzelte der köstliche Roastbeefgeruch in Ihrer Nase, aber ich muss Sie enttäuschen. Die Sache ist gegessen. Mohr im Hemd gibt es auch nicht mehr.

(Pandora stopft sich den restlichen Mohr im Hemd in den Mund)

Ignacio: Ich wollte nur nach dem Weg fragen und nach dem Sie nicht geantwortet haben, zumindest haben Sie nicht mir geantwortet, habe ich mich etwas gesorgt. Nicht jeder wird damit fertig. Geht es Ihnen wirklich gut?
Pandora: Warum sollte es mir schlecht gehen? Ich habe gerade vorzüglich gespeist – das Roastbeef hätte meine Haushälterin nicht besser zubereiten können – und nun mahnt mein voller Bauch, dass es nun Zeit für eine verdiente Ruhepause ist. Dieser Genuss zu diesen Klängen Verdis. War jemand jemals unter diesen Umständen wirklich unglücklich, sodass man hätte sagen können, es ginge ihm schlecht? Ein tollkühner Gedanke! Ich habe nie etwas Derartiges gehört und bezweifle, dass das überhaupt möglich wäre.
Ignacio: Aber die Evakuierung. Mir scheint, Sie wurden noch gar nicht informiert. Wie sage ich das jetzt? Ich kann es doch nicht so einfach aussprechen, aber irgendwie aussprechen muss ich es ja doch, denn sonst erfahren Sie es nie. Vielleicht sollte ich es schwierig erklären? Ach, was soll’s, die Wahrheit hat sowieso nicht mehr die Zeit, jemanden umzubringen. Der Vulkan-
Pandora: Der Vulkan, der Vulkan. Es langweilt mich. Das Ganze gleicht einer schlecht inszenierten Tragödie: Der Berg speit weder Feuer noch Schwefel. Er raucht nicht einmal. Und wo bleiben die zarten, hübschen Jungfrauen, die mit Tränen in den Augen ellenlange Monologe rezitieren? Ich bin enttäuscht. Endlich findet ein Unglück von wahrhaft epischer Form statt und dann denkt es nicht einmal daran, sich an die Konventionen der klassischen Tragödie zu halten. Das ist noch schlimmer als die unerträgliche Hamletaufführung an der örtlichen Schule und das heißt, dass quasi ein Superlativ übertroffen wird.
Ignacio: Das hier ist kein Theaterstück. Es geht um Leben und Tod.
Pandora: Sagen Sie bloß, dass Sie noch in einem Theater waren? Bei einer Tragödie geht immer um Leben und Tod; meistens geht es sogar um mehr Tod als Leben.
Ignacio: Aber wenn jemand im Theater stirbt, ist er nicht wirklich tot. Das hier ist die Realität. Wer tot ist, bleibt tot. Bitte, bringen Sie sich in Sicherheit, bevor es zu spät ist. Sie haben nur dieses Leben.
Pandora: Es liegt mir fern, Sie zu desillusionieren, denn desillusionierte Personen sind fürchterlich anstrengend, aber ich habe nicht den Eindruck, dass Sie sich selbst in Sicherheit bringen. Zumindest meinem Bild einer idealen Flucht entspricht es nicht, dass man per pedes durch den Wald wandelt, ohne Kenntnis des eigenen Standortes und ohne vernünftiges Ziel. Verzeihen Sie mir – ich bin versucht von Vernunft zu sprechen – meine Ehrlichkeit, aber Sicherheit ist ein sehr vager Begriff. Sie können nicht einmal sicher sein, dass Sie sicher sind. Es handelt sich hierbei sogar um ein erkenntnistheoretisches Problem. Wir wissen nicht, dass wir wissen, wen wir wissen. Wahrhaftig horizonterweiternd wird diese Sentenz aber erst, wenn man ihren propositionalen Gehalt durch lateinische Wörter expressiert. Nescimus nos scire, si-
Ignacio: Es reicht, wenn Sie sterben möchten. Das ist Ihre Sache. Sagen Sie mir einfach, wo ich bin. Nein, behalten Sie es besser für sich, bevor Sie mir irgendeinen Blödsinn erzählen. Ich werde den Weg zur Sicherheit schon finden. (Ignacio will weggehen, sieht aber Pandoras Mobiltelephon) Ist das ein Handy?
Pandora: Mir ist nicht genau ersichtlich, was Sie meinen, aber falls Sie mich auf mein Mobiltelephon ansprechen, so stimme ich Ihnen zu, es handelt sich hierbei um ein Mobiltelephon. Sollten Sie aber aus irgendeinem wunderlichen Grund, den leeren Teller meinen, der neben meinem Mobiltelephon liegt, so muss ich Sie enttäuschen, es handelt sich hierbei um einen Teller.
Ignacio: Kann ich es benutzen?
Pandora: Ich habe mehr als genug saubere Teller in meinem Haus, aber falls Sie insistieren, können Sie auch den schmutzigen verwenden. Es erscheint mir etwas unschicklich, aber ich werde einem Mann nicht seinen möglicherweise letzten Wunsch verwehren.
Ignacio: Kann ich das Handy benutzen?
Pandora: Selbstverständlich, aber gestatten Sie mir die Frage, warum Sie keines bei sich tragen. In einem Land, in dem die Menschen ein Mobiltelephon als eine Krankenversicherung besitzen, erscheint mir das doch sonderbar. Sind Sie wirklich einer der wenigen Mitbürger, die ihre Prioritäten nach vernünftigen Kriterien auswählen?
Ignacio: Meine Frau. Das ist eine lange Geschichte.
Pandora: Das sagen die meisten Männer.
Ignacio: Ich möchte einfach meine Tochter anrufen und ihr sagen, dass ich sie liebe. Mehr will ich nicht. Sobald das erledigt ist, verschwinde ich in Richtung Sicherheit.
Pandora: Nur die Nummer eintippen.

(Pandora steht auf, reicht Ignacio das Mobiltelephon und stellt sich zu einem kleinen Tisch, auf dem einige Flaschen stehen. Ignacio tippt die Nummer ein)

Ignacio: Das Netz ist überlastet.
Pandora: Damit habe ich gerechnet. Tausende Verzweifelte, die ihr Telefon anschreien. Das war übrigens keine Spitze gegen Sie.
Ignacio: Warum geben Sie mir das Mobiltelephon, wenn Sie damit rechnen, dass ich nicht durchkomme. Macht es Ihnen etwa Spaß, mich leiden zu sehen?
Pandora: Es hatte den Charakter einer Vermutung. Ich nahm nur an, dass die Menschen im Angesicht des Todes als letzte Tat, den Äther mit ihrem Kitsch verstopfen. Ich war ja nicht überzeugt davon, dass meine Einschätzung der Menschen absolut richtig sei. Derartige Sicherheit genießen nur die Misanthropen.
Ignacio: Wollte Sie vielleicht auch jemanden anrufen?
Pandora: Wie kommen Sie auf diesen ridikülen Gedanken? Wen sollte ich anrufen? Sollte sich sterben, so gibt es nicht einen Grund Termine zu arrangieren, denn an meiner eigenen Beerdigung liegt mir nichts. Sollte ich überleben, so hätte es keinen Sinn gehabt, letzte Worte auszusprechen und tiefste Geheimnisse zu offenbaren. So aber erhalte ich, ohne einen Anruf getätigt zu haben, die einzigen Grabbeigaben, die ich mir wünsche, nämlich meine geliebten Heimlichkeiten.
Ignacio: Was mache ich jetzt? Ich muss meine Tochter sagen, dass ich sie liebe.
Pandora: Sie können nur warten und hoffen, dass Sie später durchkommen.
Ignacio: Warten. Hoffentlich ist es kein Warten auf den Tod.
Pandora: Was trinken Sie denn?
Ignacio: Ich trinke nichts.

(Pandora gießt etwas Rum in ein Glas)

Pandora: Die Zivilisation geht vor die Hunde. Jetzt wird sogar der Rum verschmäht.
Ignacio: Ich glaube nicht, dass Trinken meine Probleme löst. Vielmehr ist das Lösen von Problemen meine Lösung.
Pandora: Bilden Sie sich nicht zu viel auf ihre großartige Weisheit ein. Auch Schimpansen können Probleme lösen. Sie lösen sie oder sie lösen sie nicht. Aber wir Menschen können Probleme verdrängen; sich verschieben; durch Alkohol konservieren, sodass sie noch in unseren Köpfen sind, wenn die Realität sich längst verändert hat. Aber einige Wenige sind in der Lage aus diesen Problemen große Kunst zu schaffen.
Ignacio: Ich glaube ich versuche es noch einmal. Das Netz ist immer noch überlastet.
Pandora: Warten. Sie können nur warten.

Dritte Szene

(Ignacio wirft das Mobiltelephon in den Sand. „La donna e mobile“ aus Verdis Oper „Rigoletto“ ist zu hören.)

Ignacio: Überlastet. Das Netz ist überlastet und das seit einer halben Stunde. Ich brauche nur einen Anruf. Ein paar Minuten; mehr nicht. Warum muss das verdammte Netz gerade jetzt überlastet sein? Es hat kein Sinn. Ich werde nie durchkommen; nie mehr werde ich meiner kleinen Paminita sagen können, dass ich sie liebe. Mein letzter Wunsch bleibt mir verwehrt. Es ist vorbei. Mein Haus habe ich verloren, meine Frau hat mich verlassen und nun kann ich nicht einmal dem Licht meines Lebens sagen, dass ich sie liebe. Ich war schon vorher zum Sterben verdammt, aber dieser qualvolle Verlust ist wohl der Lohn meiner harten Arbeit. Danke. Muchas gracias, dios! Ich kann nicht einmal Paz anrufen, um ihr zu sagen, dass sie sich wie ein Miststück verhalten hat, als sie ohne mich geflohen ist. Ungerechtigkeit ist der Dank der Welt.
Pandora: Ich nehme an, Paz ist – Verzeihung mein Fehler – war Ihre werte Gattin.
Ignacio: Sie haben Recht. Sie war es. Sie war mein Leben. Ein Blick in ihre Augen und mein Leid war vergessen. Das ist aber alles nichts mehr Wert. Das ist nicht mehr von Bedeutung. Sie hat mich verlassen. Sie hat mich zurückgelassen. Sie hat unsere Liebe verlassen. Es ist, als hätte es die Jahrzehnte glücklicher Ehe nie gegeben.
Pandora: Bereuen Sie es denn, Paz geheiratet zu haben?
Ignacio: Ja. Nein. Vielleicht? Was weiß ich? Ich hätte auch nie gedacht, dass sie mich zurücklässt. Wozu ist das überhaupt von Bedeutung? Soll ich ihr vielleicht verzeihen? Soll ich sie von ihrer Last befreien, damit es ihr gut geht, nachdem sie mich verlassen hat?
Pandora: Überlassen Sie das Philosophieren einer Person, die darin ausgebildet wurde, nämlich mir. Hören Sie mir zur! Vergessen Sie die – das wollte ich schon immer einmal sagen – scheiß Ethik und fragen Sie sich einfach, ob die Ehe mit – jetzt habe ich und das ist mir peinlich, denn Namen ihrer Frau vergessen – Ihrer Frau ein Fehler war. Glückliche Jahre sind keine verlorenen Jahre.
Ignacio: Nein, es war kein Fehler. Es waren glückliche Jahre. Welche Rolle spielt das jetzt? Sie sind vorbei. Paz ist geflohen. Die Liebe ist verschwunden.
Pandora: Ihre Liebe ist nicht verschwunden, denn sonst würden Sie nicht so trauern. Aber Sie trauern nicht um Ihre Liebe, sondern um die Liebe allgemein, denn eine Illusion ist zerbrochen. Die Menschen glauben, dass die wahre Liebe eine Liebe sei, die keine Antwort erwarte und gänzlich ohne Eigennutz sei. Sie aber haben erfahren, dass Liebe erst dann befriedigend ist, wenn man auch geliebt wird. Wir lieben und wir lieben es, geliebt zu werden.
Ignacio: Sie wollen also sagen, dass ich nicht meine Frau, sondern nur ihre Liebe vermisse.
Pandora: Ein Mann, der einer Frau verfiel, die ihn nur demütigte, und der daher Trost im Whisky suche, hat mir einmal anvertraut: Die unerfüllte Liebe ist wie ein guter Whisky. Wenn man sie von Zeit zu Zeit in kleinen Mengen genießt, so gibt es kein himmlischeres Gefühl; doch wer ständig von ihr leben muss, geht daran zu Grunde. Ich kann nicht über unerfüllte Liebe sprechen, aber zumindest bin ich in der Lage die Folgen des Whiskys zu verifizieren. Spätestens nach dem fünften Glas ist die Zunge taub und der Rachen brennt. Das Trinken wird zur Qual.
Ignacio: Das ist nicht sonderlich aufbauend. Sie haben zu mir gesagt, dass glückliche Jahre keine verschwendeten Jahre seien. Nun wollen Sie aber anscheinend den Rest meines Lebens verschwenden, indem Sie mir erzählen, dass ich nicht meine Frau, sondern nur meine Liebe zu ihr vermisse. Noch dazu soll mich dieser Verlust auch noch zu Grunde richten. Kurzum: Die Vulkanologen prophezeien einen Ausbruch, aber Sie sind nicht so gnädig und prophezeien den Zusammenbruch meines Glücks. Ich habe zwar weder von Ästhetik noch von Kunst viel Ahnung, aber schön ist das nicht.
Pandora: Kritisieren Sie nicht meine Worte, sondern Ihre Illusionen, deren Zusammenbruch in Ihren Augen eine Ruine hinterlässt. Mit dem Wahn sollten nur diejenigen kokettieren, die auch in der Lage sind, ihn als Trugbild zu entlarven. Aber Sie konnten anscheinend die Pluralität der Welten nicht erkennen und stehen jetzt vor der leeren Wahrheit. Wir lieben keine Personen oder Gegenstände, sondern nur die Gefühle, die sie in uns evozieren. Wir brauchen nicht einmal einen Gegenstand, sondern nur Bewusstsein von einem Gegenstand, um Gefühle zu effizieren. Doch die größte Blasphemie ist die zwischenmenschliche Liebe, denn es ist populärer Irrglaube, dass man durch sie der Einsamkeit unserer solipsistischen Existenz entfliehen könnte. Das sind wahnhafte Narreteien eines feigen Philisters. Als könnten wir uns an unseren eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.
Ignacio: Kein Wunder, dass es niemanden gibt, denn Sie anrufen wollen oder besser gesagt, der von Ihnen angerufen werden will. Wenn Sie Liebe mit egozentrischem Narzissmus verwechseln, so ist das Ihre Sache, aber ich habe es satt, dass schon wieder eine Person über die Liebe herzieht, obwohl Sie keine Ahnung hat. Über dieses wundervolle Gefühl kann man nur schlecht reden, wenn man des nicht kennt. Sie sind sicherlich irgendeine verbitterte Xanthippe, die noch nie verliebt war.
Pandora: Noch nie verliebt? Humbug! Selbstverständlich habe ich den Nektar der Liebe genossen und vermutlich mehr davon, als Sie je erhaschen werden. Selbstverständlich kenne ich das Gefühl, wenn man plötzlich aus der Welt gerissen wird und die Lippen ein seliges Lächeln formen; wenn das Herz rast und man doch ganz entspannt ist, wenn man von einer unglaublichen Leichtigkeit erfüllt wird und dennoch alles Sinn hat.
Ignacio: Sieh an. Sie haben also doch ein Herz. Wer war dieser Romeo?
Pandora: Also es war ein kühler Dezemberabend in meinem ersten Jahr als Studentin in Wien. Nach langem Anstehen hatte ich eine Stehplatzkarte für die Vorstellung von Mozarts „Don Giovanni“ in der Wiener Staatsoper erworben und während ich die eleganten Besucher in ihren festlichen Roben beobachtete, wie sie die Festtreppe nach oben zu den Logen schritten, die damals für mich als arme Studentin unerschwinglich waren, erfasste mich eine fast schon ridiküle Vorfreude, doch wirklich ridikül war sie nur im Vergleich zur Euphorie, die wenige Minuten später von mir Besitz ergreifen sollte. Nichts ahnend ging ich zurück zu meinem Stehplatz und blickte auf die Bühne. Das Licht im Zuschauerraum erlosch und das Rauschen, das ein Resultat der zahlreichen Gespräche unter den Besuchern war, verstummte. Für einen Augenblick war es so still, als gäbe es keine Luft mehr, die dem Schall als Medium dienen könnte, dann wurde diese Stille von einem satten D-Moll-Ton überrollt und meine Augen füllten sich mit Tränen. Sofort hatte ich erkannt, dass die Oper immer einen Platz in meinem Herzen haben wird.
Ignacio: Ihr großer Liebhaber ist also die Oper? Kein Wunder, dass Sie keine Ahnung von Liebe haben.
Pandora: Meine große Liebe ist die Schönheit und die Musik der Oper ist nun einmal schön. Wenn Sie so gütig wären und für einige Augenblicke schweigen könnten, dann würden Sie sie hören. Nach all den Jahren lausche ich immer noch ihrem Klang. Ihre Frau aber hat Sie – wenn ich mich recht erinnere – verlassen.
Ignacio: Das ist aber keine echte Liebe. Das ist pervers. Wie kann ich Musik lieben?

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